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Das Innerste berühren

Figuren, Bewegungen, Gesten: Sie sind bei dem Opernregisseur Christof Loy der Partitur abgelauscht. Sein Konzept ist altmodisch: sich für den Gesang als glaubwürdige Ausdrucksform einzusetzen. „Poetischen Realismus“ nennt der Regisseur, der vom Theater kommt, diese Art der Wahrheitssuche

Loy kann das Innerste der Musik begreifen und es in Bewegung und Bild übersetzen

VON TIM GORBAUCH

Das Wort „jung“ hat er im letzten Jahr aus seiner Biografie gestrichen. Mit guten 40 fand er es an der Zeit. Bis dahin galt Christof Loy vor allem als Aushängeschild der jungen Opernregie, nun braucht es ein neues Etikett. Vorbei jedenfalls kommt man an ihm nicht mehr. Still und unspektakulär hat er sich in den letzten Jahren in einer Branche etabliert, die zurzeit allzu auffällig auf die schlagzeilenträchtigen Quereinsteiger setzt: Bernd Eichinger, Doris Dörrie, Volker Schlöndorff, um nur mal auf den Berliner Opernspielplan zu schauen.

Zum zweiten Mal in Folge wurde Christof Loy im letzten Herbst in einer Kritikerumfrage zum Opernregisseur des Jahres gewählt. Vor Peter Konwitschny, Peter Musbach und den anderen Arrivierten, auch vor Martin Kusej und Calixto Bieto, an denen sich das Feuilleton derzeit so gern abarbeitet. Das eigentlich Erstaunliche an Loy aber ist: Mehr noch als ein Liebling der Kritiker ist er ein Mann fürs Premierenabonnement. Gerade erschien an der Hamburger Staatsoper seine Inszenierung von Rossinis „Il Turco in Italia“ – der Jubel im Parkett war gewaltig.

Manchem aber erscheint genau das verdächtig. Loy, heißt es dann, sei harmlos und ohne konzeptionellen Biss, ein Konservativer, der die Wünsche des Publikums bediene und in fast naiver Narration einen Plot nacherzähle. Er selbst reagiert auf solche Einwände mit Gelassenheit. Als altmodisch abgetan zu werden ist für ihn kein Makel – er beschreibt sich selbst so. „Mein Konzept“, sagt er, „ist erst einmal altmodisch. Ich will, dass ein Sänger auf der Bühne glaubwürdig agiert, dass sein Gesang als sinnvolle, besser noch: als in diesem Augenblick einzig mögliche Ausdrucksform anerkannt wird. Dass ein Mensch sich singend auf der Bühne veräußert, steht vor allem anderen.“

Der singende Mensch, die Sprengkraft der Musik, darum dreht sich alles im Denken Loys – das war schon so, als er als Kind Maria-Callas-Platten aufsaugte. Die Zuneigung zur Musik, das Vertrauen in ihr unermessliches Vermögen, das vor allem vermisst Loy im Regie- und Bildertheater, das er dann als fragwürdig begreift, wenn es seine Ideen und Konzepte weder inhaltlich noch vor allem musikalisch absichert. Diese Absicherung ist für ihn unerlässlich. Fast scheint es gar, als denke Christof Loy seine Figuren nicht, als höre er sie vielmehr. Ihre Bewegungen, ihre Gesten und szenischen Behauptungen sind denen der Partitur abgelauscht. Mit einem ungeheuer feinen, seismografischen Ohr nähert sich Loy seinen Stücken – im Bewusstsein, der Kern von allem oder, um ein altmodisches Wort zu verwenden: die dramatische Wahrheit kann nur dort, ganz tief in den Tönen liegen. Alle seine Arbeiten sind entstanden aus dem Geist der Musik.

Wer so an Oper rangeht, der kann an Mozart nicht vorbei. Und so vergeht kaum ein Jahr ohne eine neue Mozart-Inszenierung von Loy. Noch immer, sagt er, könne er von Mozart lernen: von dessen Beobachtungsgabe, von seiner Fähigkeit, Menschen zu beschreiben, ihnen ein Gesicht zu geben, eine Stimme, eine Haltung. Im letzten Jahr erschien an der Oper Frankfurt seine Sicht auf Mozarts „Entführung aus dem Serail“, ein zwar reizendes, aber doch eher schwieriges Frühwerk, Singspiel und Türkenoper zugleich. Was man dann auf der Bühne sah, hatte aber mit Klischee nichts zu tun. Loy gab allen seinen Figuren eine im unmöglichen Kunstwerk Oper so seltene Glaubwürdigkeit, ohne sie dafür bleischwer an die Wirklichkeit zu ketten und ihnen jeden utopischen Flügelschlag zu verbieten.

Christof Loy kann das, weil er auf der einen Seite eine unglaubliche Fähigkeit besitzt, Sänger schauspielerisch zu führen und noch die Regie-resistenten Exemplare in Darsteller zu verwandeln. Vor allem aber kann er es, weil er der Musik zuhören kann wie kein anderer, weil er ihr Innerstes zu begreifen scheint und es in Bewegung und Bild übersetzt. Das vor allem macht Loy zu einer der größten Begabungen seiner Generation, die gerade dabei ist, die Lücke zu schließen, die nach Götz Friedrich, Harry Kupfer und Ruth Berghaus für Jahre klaffte.

Dabei begann die Karriere Loys als Schauspielregisseur. Friedrich Schirmer holte ihn nach Stuttgart ans Schauspielhaus, dort inszenierte er in den Neunzigerjahren Kroetz, Gorki, Maeterlinck, Botho Strauß und Marivaux. Dort auch prägte Schirmer das Schlagwort vom poetischen Realismus, das Loy für sich akzeptiert: „Realismus, weil mich Wahrhaftigkeit interessiert. Poetisch, weil es mir nicht auf Abbildung ankommt.“ Daran hat sich nichts geändert, als das Musiktheater immer mehr in den Vordergrund rückte. Selbst im sehr viel konservativeren Genre Oper hat er sich nicht zum Bilderstürmer aufgeschwungen. Die Rolle des Provokateurs liegt ihm nicht. Er ist ein Wahrheitssucher – und meint dabei nie seine Wahrheit, sondern immer die des Stücks, der Musik, der Figur.

Längst hat sich Loy an allen wichtigen Opernhäusern etabliert. Er inszeniert in Brüssel, in Hamburg, in München, vor allem aber in London, Düsseldorf und Frankfurt. In Berlin hat er noch nie gearbeitet. Auch das ist irgendwie typisch.

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