Business statt Pietät

Pläne, an der Gedenkstätte des Ghettos Theresienstadt Kies abzubauen, sorgen in Tschechien für Streit

PRAG taz ■ „Auf einem Friedhof würde man so etwas auch nicht machen“, schimpft Jan Munk, Leiter der Gedenkstätte Theresienstadt. Grund für die Aufregung sind Pläne, neben der Gedenkstätte Kies abzubauen. Nur 50 Meter von einem Ort entfernt, an dem die Überreste von 22.000 Menschen ihre letzte Ruhe fanden.

Hoch war die Sterblichkeitsrate im Ghetto Theresienstadt. So hoch, dass unter jüdischer Selbstverwaltung ein Krematorium gebaut werden musste. Von den 150.000 tschechischen Juden, die hier zwischen 1941 und 1945 zusammengepfercht waren, starben über 30.000 an Unterernährung oder Erschöpfung. Ihre Asche wurde in Papierurnen aufbewahrt. „Die SS machte die Leute glauben, sie würden die Urnen nach dem Krieg erhalten, nachdem sie im Osten neu angesiedelt worden seien. So schürten sie Hoffnung“, sagt Jan Munk.

Doch als der Krieg Ende 1944 schon klar verloren war, ging es darum, Spuren zu verwischen. Im November 1944 wurden Ghettobewohner abkommandiert, die Urnen verschwinden zu lassen. Innerhalb weniger Nächte mussten sie die Asche der Opfer in den Fluss Ohre streuen. „Mit anderen Gefangenen haben wir eine Kette gebildet und die Urnen von Hand zu Hand weitergegeben. Dann haben wir sie auf einen Lastwagen verladen, der sie weggefahren hat“, erinnerte sich nach dem Krieg eine Zeitzeugin, deren Aussage im Theresienstädter Archiv aufbewahrt ist.

Die Menge der Asche war so groß, dass sich auf dem Fluss kleine Inselchen bildeten. Heute herrscht an dieser Stelle Badeverbot. Denn trotz Gedenktafel und einer kurzen Beschreibung der Ereignisse von 1944, gibt es immer wieder Leute, die genau hier schwimmen.

Schlimmer noch als unerwünschte Badegäste ist aber die Vorstellung, dass die Ruhe der Gedenkstätte bald von Baggern und Lastwagen gestört wird. „Hierher kommen Menschen aus der ganzen Welt, um ihrer Angehörigen zu gedenken. Manche bleiben eine Weile, manche werfen Blumen ins Wasser,“ erzählt Jan Munk. „Es geht nicht, dass die Pietät dieses Ortes durch Lärm und Dreck gestört wird.“

Wer genau hinter dem Projekt steht, ist unklar. Derzeit überprüft das Umweltministerium die Umweltverträglichkeit des geplanten Kiesabbaus. „Wenn alles korrekt läuft, kann der in einem halben Jahr beginnen“, so eine Sprecherin.

Nicht aber wenn es nach Jan Munk geht. Sollte die Kiesgrube grünes Licht bekommen, will er sich an den European Jewish Congress und World Jewish Congress wenden. Die sollen Druck auf die tschechische Regierung machen. „Lieber würde ich einen Skandal vermeiden, aber an dieser Stelle darf es keine Kiesgrube geben“, sagt er. ULRIKE BRAUN