Muslime fordern mehr Anteilnahme

MORD IN DRESDEN Während die Bluttat allmählich aus den Medien verschwindet, kämpfen die Muslime weiterhin für ein deutliches Zeichen der Politik gegen Islamhass. Das versuchen Islamisten zu nutzen

BERLIN taz | „Wo sind Sie, Frau Kanzlerin?“ Das ist die Zeile eines Liedes. Gesungen von Sayfoudin114, einem muslimischen Sänger. Es geht um den Mord an Marwa El-Sherbini. Weiter heißt es: „Auf dem G-8-Gipfel sprechen Sie darüber mit dem ägyptischen Präisdenten / Doch Ihre Aufmerksamkeit sollten Sie uns hier lieber schenken.“ Es ist ein Lied, das zeigt: Für die meisten Deutschen mag die Debatte über den Mord im Landgericht Dresden abgeschlossen sein, für viele Muslime ist sie das nicht.

„Die deutsche Mehrheitsgesellschaft unterschätzt den Symbolwert dieses Mordes“, sagt die Berliner Islamwissenschaftlerin Claudia Dantschke. „Bei den meisten ist das keine böse Absicht, sondern es fehlt einfach das Einfühlungsvermögen, um zu erkennen, was diese Tat für die Muslime hier bedeutet.“

Für Freitagabend hatten muslimische Organisationen zu einer Demonstration vor dem Brandenburger Tor aufgerufen, der zweiten großen Kundgebung in Berlin. Am 5. Juli hatte der salafitische Prediger Pierre Vogel ebenfalls zu einer Kundgebung geladen. Im Internet sammelt ein muslimischer Modedesigner Unterschriften dafür, dass Angela Merkel zu den inländischen Muslimen über den Mord spricht und ihn verurteilt.

„Wir wollen ein klares Signal von der Politik“, sagt Melih Kesmen, Erfinder des muslimischen Modeunternehmens Styleislam und Initiator der Unterschriftenkampagne. „Das bisherige Schweigen der Kanzlerin signalisiert den Islamfeinden, dass ihr Hass akzeptiert wird.“

Die schwangere Apothekerin Marwa E. war am 1. Juli in einem Gerichtssaal in Dresden vor den Augen ihres dreijährigen Kindes von einem Russlanddeutschen erstochen worden. Die Frau war von dem Täter zuvor auf einem Spielplatz als „Terroristin“ und „Schlampe“ beleidigt worden. Die Muslimin hatte deswegen Anzeige erstattet.

„Leider gibt es viele, die so denken, wie dieser Mann“, sagt Aiman Mazyek, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime. Er glaubt, dass der Mord viele Erfahrungen von Muslimen im Alltag bestätigt. „Deutschland ist nicht als Ganzes islamfeindlich, aber die Islamophobie ist weit verbreitet.“

„Dieser Mord bestätigt die Diskriminierungserfahrungen junger Frauen mit Kopftuch“, sagt auch Claudia Dantschke. Sie würden in der Öffentlichkeit angepöbelt und bekämen sehr oft keinen Arbeitsplatz. Das Schweigen eines großen Teils der Öffentlichkeit spiele dabei Gruppen in die Hände, die versuchen, ein einseitiges Feindbild der westlichen Welt aufzubauen. „Bisher nutzen diesen Mord leider vor allem Islamisten und versuchen die Tat auch für Ihre Ziele zu instrumentalisieren.“ Sie stießen damit in ein Vakuum, das niemand sonst ausfüllen würde. Die Demonstration der Salafiten Anfang Juli ist für sie ein Beispiel, die Demonstration am Freitagabend ein weiteres. Denn die Initiatoren kommen aus dem Umfeld umstrittener Organisationen wie Milli Görüs und der Muslimbruderschaft. DANIEL SCHULZ

■ Interview Melih Kesmen: taz.de