Trauer und Andacht – urbi et orbi

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

Viele Muslime rechnen dem Papst seinen persönlichen Einsatz gegen den Krieg im Irak hoch an

Die Nachricht vom Tod Papst Johannes Paul II. traf die Menschen im südpolnischen Wadowice besonders hart. „Lolek ist tot“, flüsterten sie sich in der Nacht auf Sonntag tränenerstickt zu. Für viele war er ein alter Bekannter aus Kindertagen. Der damalige Pfarrer der Marienbasilika hatte die Fußball spielenden Jungs immer verjagt. Der Ball hätte ja in die offene Kirchentür schießen oder eines der Kirchenfenster zerschmettern können. Als Karol Wojtyła aber Jahre später Papst im fernen Rom war und von Zeit zu Zeit in seine Heimatstadt kam und mit den Wadowicern ganz und gar unpäpstlich herumalberte, in Erinnerungen schwelgte, vom Fußballspiel und den sagenhaften Cremetörtchen nach der Schule schwärmte, da bekam er den liebevollen Spitznamen. In Rom und der Welt war Johannes Paul II. eine moralische Autorität und wurde respektvoll „Heiliger Vater“ genannt. In Wadowice aber war der Papst „einer von uns“, eben „Lolek“.

Am Sonntagmorgen fuhren viele Autos mit Trauerflor, die Nacht hindurch beteten Zehntausende in den Kirchen des Landes für Johannes Paul II. Auch in Krakau. Hier wurde die Siegmundglocke der Kathedrale auf dem Wawelberg, die nur zu besonderen Anlässen erklingt, 25 Minuten lang geläutet. „Wujek“ nennen die Krakauer den Pontifex maximus – „Onkelchen“. Viele Krakauer haben Karol Wojtyła während des Studiums oder beim Theaterspielen kennen gelernt, gemeinsam mit ihm Zwangsarbeit in den Solvay-Oetker-Werken geleistet oder waren mit dem jungen Priester Ski oder Kajak gefahren. Selbst ein paar der damaligen Parteifunktionäre trauern heute um den toten Papst. Ohne die Vereinigte Arbeiterpartei wäre der junge Wojtyła nie Weihbischof von Krakau geworden. Sechs Kandidaten des Vatikans hatte sie 1958 abgelehnt. Wojtyła aber hielt die kommunistische Partei für einen Philosophen und idealistischen Schwärmer, der ihnen keine großen Schwierigkeiten bereiten würde. Selten hat sich die Partei so geirrt wie in diesem Fall.

Polens Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski hat den Papst nie „Lolek“ oder „Wujek“ genannt. Er gehörte bis 1989 „zur anderen Seite“, machte Parteikarriere und wurde noch zu realsozialistischen Zeiten Jugend- und Sportminister. Doch Kwaśniewski und Johannes Paul II., der Exkommunist und der Erzkatholik, haben sich versöhnt. Der symbolträchtige Umbruch wurde endgültig sichtbar, als der Papst auf einem seiner letzten Polenbesuche Kwaśniewski und dessen Frau einlud, ein Stück im Papamobil mitzufahren. Heute bezeichnet auch Aleksander Kwaśniewski den Tod von Johannes Paul II. als unwiederbringlichen Verlust der „größten moralischen Autorität“. Wörtlich sagte er: „Ein großer Papst, unser herausragendster Landsmann ist gestorben, ein guter Vater für uns alle, Gläubige und Nichtglaubende.“ Bis zur Beerdigung von Johannes Paul II. herrscht in Polen Staatstrauer. Die Flaggen vor öffentlichen Gebäuden werden eine Woche lang auf Halbmast gesetzt.

„Wir vertrauen darauf, dass Johannes Paul II. die Schar der Heiligen vergrößert“, meinten Polens Bischöfe in einer ersten Stellungnahme nach dem Tod des Pontifex. Auch in den Internetforen diskutieren junge Leute, ob der Papst heilig gesprochen werden könnte. Die meisten finden es „irre“ oder „hip“, wenn „unser Lolek ein Heiliger“ würde.

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Ob Kreuzzüge oder die katholisch geführte spanische Reconquista, das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche in Rom und der islamischen Welt war jahrhundertelang von Konflikten und Spannungen gezeichnet.

Doch das Ableben von Papst Johannes Paul II. wird von vielen Muslimen als Verlust wahrgenommen. Mit seinen Reisen in über 20 islamische Länder hatte das Oberhaupt der katholischen Kirche das Eis gebrochen. Höhepunkt dieser religiösen Entspannungspolitik war sein Besuch der Omajaden-Moschee in Damaskus vor vier Jahren. Niemals zuvor hatte ein Papst vorher ein muslimisches Gotteshaus betreten. „Es ist meine Hoffnung, dass religiöse Führer und Lehrer unsere beiden Gemeinschaften als Gemeinschaften des Dialogs und nicht des Konflikts repräsentieren werden“, hatte Johannes Paul damals im Innenhof der Moschee erklärt. Christen und Muslime müssten sich gegenseitig verzeihen, forderte er nur wenige Meter vom Grab Saladins entfernt, der die christlichen Kreuzfahrer aus der Region vertrieben hatte.

„Der nächste Papst muss fortführen, was mit diesem Papst begann“, forderte denn jetzt auch der ägyptische Minister für religiöse Angelegenheiten, Hamdi Saksuk.

Die Arabische Liga bezeichnete Johannes Paul II. als einen Mann des Friedens, der den Dialog zwischen den Religionen gefördert habe. „Wir sind sehr traurig, ihn verloren zu haben“, erklärte ein Sprecher. „Wir werden nie seine ehrenhafte Position gegenüber unterdrückten Völkern und ganz besonders gegenüber den Palästinensern vergessen“, fügte er hinzu.

Der iranische Präsident Mohammed Chatami sprach von „großer Traurigkeit“, mit der er die Nachricht vom Tod des Papstes vernommen habe, und beschrieb ihn als „Meister des religiösen Lernens und des philosophischen Denkens“. Außerdem drückte auch er seine Hoffnung aus, das der päpstliche Nachfolger „den Dialog zwischen den friedensliebenden Religionen und den politischen Führern der Länder der Welt weiterführen wird“.

Auch der marokkanische König Mohammed VI. hat in seiner Eigenschaft als „Befehlshaber der Gläubigen“, als so genannter Amir al-Muminin, kondoliert. Er charakterisierte den Papst als „herausragende Persönlichkeit, die mit ihrer immensen internationale Ausstrahlung stets die Christen und die Gläubigen anderer Religionsgemeinschaften inspiriert hat“.

Selbst islamistische Bewegungen sprachen ihr Beileid aus, neben Hamas und islamischem Dschihad auch das pakistanische Muttahida-Majlis-e-Amal-Bündnis. Parteichef Hafiz Hussein Ahmad erklärte, die Welt habe einen Mann des Friedens verloren. Die radikal-konservativen Taliban, die Ende 2001 in Afghanistan gestürzt worden waren, sprachen von einem „spirituellen Verlust“ für die Katholiken. „Auch wenn Christen einen Kreuzzug gegen den Islam begonnen haben, verdient der Einsatz des Papstes für den Weltfrieden Lob“, hieß es in einer Erklärung. Viele Muslime rechnen dem Papst seinen persönlichen Einsatz gegen den Irakkrieg hoch an, der nach Meinung vieler eine weitere Verschärfung des Konflikts zwischen den Kulturen nach dem 11. September verhindert hat. Johannes Paul II. hatte den Irakkrieg als „ein Verbrechen gegen den Frieden“ bezeichnet.

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

In seltener Übereinstimmung bedauern Israelis und Palästinenser den Tod von Papst Johannes Paul II. Israels Premier Ariel Scharon nannte ihn einen „Mann des Friedens“ und „Freund des jüdischen Volkes“. Der palästinensische Außenminister Nasser al-Kidwa erinnerte an den Besuch des Papstes im Nahen Osten. Dieser habe eine „neue Atmosphäre geschaffen“. Johannes Paul II. war aus Anlass der Millenniumsfeierlichkeiten 2000 nach Israel und in die Palästinensergebiete gereist. In der Bethlehemer Geburtskirche läuteten gestern stundenlang die Glocken.

Im Heiligen Land erinnern sich Palästinenser und Israelis an einen „Versöhner“

Israel wird durch Außenminister Silvan Schalom bei der Trauerzeremonie vertreten. „Der Staat Israel schließt sich all denen an, die den Verlust betrauern“, meinte Schalom. Der Papst habe den „interreligiösen Dialog und das Verständnis gefördert“, und er sei der erste Papst gewesen, der je eine Synagoge betreten habe. Johannes Paul II. hatte 1986 beim Besuch einer römischen Synagoge die Juden „unsere älteren Brüder“ genannt.

Staatspräsident Mosche Katzaw war zunächst unentschlossen, ob auch er nach Rom fahren soll. Er wäre gern dazu bereit. „Das jüdische Volk wird sich an Johannes Paul II. als jemanden erinnern, der den Mut hatte, einer historischen Ungerechtigkeit ein Ende zu machen, als er öffentlich von den Vorurteilen und Vorwürfen abrückte, aufgrund deren unser Volk gehässigen Antisemitismus, Verfolgung und Blutvergießen erleiden musste“, sagte er. Damit spielte Katzaw auf den Besuch von Johannes Paul II. in der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem an, wo er sich für die an den Juden begangenen Verbrechen entschuldigte. Scharon berichtete bei der gestrigen Kabinettssitzung von seinem Treffen mit Johannes Paul II. vor sechs Jahren. Dieser habe ihm gegenüber von Israel als dem „Heiligen Land der drei Religionen“ gesprochen, das indes „den Juden versprochen wurde“. Die Welt habe „einen der wichtigsten Führer unserer Zeit verloren“, kommentierte er. Der Papst habe eine „historische Versöhnung zwischen Völkern“ und die Aufnahme diplomatischer Verbindungen zwischen Israel und dem Vatikan ermöglicht.

Rabbi Israel Meir Lau, ehemals aschkenasischer Oberrabbiner in Israel, berichtete gegenüber der Stimme Israels über seine persönlichen Beziehungen zu dem Papst. Entsprechend der Halacha (jüdisches Gesetz) sei es ihm verboten gewesen, den Vatikan zu besuchen. Deshalb „erwartete mich der Papst in einem Hotel“. Im Gespräch habe Lau erfahren, dass der Papst seinen Großvater persönlich kannte. Er habe ihm zudem versichert, sich für die „fortgesetzte Existenz des jüdisches Volkes einzusetzen“.

Auch Jossi Beilin, ehemals Justizminister, erinnert sich an die besondere Freundlichkeit des Papstes und dessen „großes Interesse an israelischer Tagespolitik.“ Schimon Peres, der damals Außenminister war, zeigte sich besonders von der „einzigartigen Kombination von historischer Perspektive und persönlichem Charisma“ beeindruckt. „Er vereinte unsere Herzen durch sein Wirken und seinen Mut.“

Die beiden israelischen Zeitungen Maariv und Jediot Achronot schrieben nahezu übereinstimmend über den „Revolutionär“ und den „modernen Papst“, ohne aber den „Konservativen“ zu vergessen: den, der entschieden gegen Kondome, Abtreibungen und Homosexualität eintrat.