Opfer bleiben stumm

Am Rande des Angelina-Prozesses fordert Anwalt Rudolf von Bracken Hamburg auf, der Bundesratsinitiative der Unionsländer für ein verschärftes Jugendstrafrecht beizutreten

von Benno Schirrmeister

„Die Fragen“, sagt Rechtsanwalt Rudolf von Bracken, „schreien ungehört im Raum.“ Ein pathetisches Wort, aber es ist der Sache angemessen: Gestern hat die Hauptverhandlung im Mordprozess um den Tod des Mädchens Angelina vor der Hamburger Jugendstrafkammer begonnen.

Sieben Jahre ist das Kind geworden. Oktober vergangenen Jahres wurde es vergewaltigt, dann erdrosselt. Angeklagt und laut Staatsanwaltschaft „weitestgehend geständig“ ist ein Junge aus der Nachbarschaft. Der Familienrechtler von Bracken vertritt die Mutter der Toten. Genauer: Er würde sie gerne vertreten. Aber das ist nicht möglich: „Ich bin in dem Verfahren ein Möchtegern-Anwalt“, so der Jurist. „Ich darf meiner Mandantin gerade einmal die Hand halten.“

Dafür gibt es Gründe. Der eine: Der Vorsitzende Richter verweigert der Opfer-Seite sogar die Akteneinsicht. „Die psychologischen Gutachten bekommt jeder an dem Verfahren beteiligte zu sehen – nur meine Mandantin nicht“, beschwert sich von Bracken. Ein Unding aus seiner Sicht. Und keinesfalls eine notwendige Auslegung des Jugendstrafrechts. Möglich wird sie durch Grund zwei: Der Paragraph 80 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG). Dessen dritter Absatz formuliert lapidar : „Nebenklage ist unzulässig.“

Dieser Paragraph gehöre „ersatzlos gestrichen“, so der Opfer-Anwalt. „Das ist eine Forderung, die ich direkt an die Regierung meines Bundeslandes richte.“ Abwegig ist das nicht: Tatsächlich haben mehrere unionsregierte Länder, darunter Niedersachsen, eine Bundesratsinitiative für eine Jugenstrafrechtsreform eingebracht. Sie konkurriert mit einem Entwurf aus dem Bundesministerium: Seine erste Lesung im Bundestag soll noch vor der Sommerpause erfolgen. Auch dieser strebt eine „Verbesserung des Opferschutzes“ an.

Allerdings soll dafür die umstrittene Bestimmung nicht gestrichen werden. Sondern erweitert: Der Opfer-Seite würde die Akteneinsicht garantiert, das Urteil würde ihr mitgeteilt, und der Staat würde die Kosten für ihren Anwalt übernehmen. Eine Nebenklage aber würde nur bei Verfahren gegen Heranwachsende, also über 18-Jährige, zugelassen.

„Wir befürworten diesen Entwurf“ so der Präsident der Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen Bernd Sonnen. Beim Jugendstrafrecht gehe es „ausschließlich um Individualprävention“, also die Vermeidung einer erneuten Straftat. Dazu brauche es keine förmliche Position neben dem Staatsanwalt. „Im Jugendstrafrecht ist kein Raum für Rache“, so der Hamburger Strafrechtslehrer.

Tatsächlich hat die Unzulässigkeit der Nebenklage laut Bundesverfassungsgericht „ihren Grund im Erziehungszweck des Jugendstrafverfahrens“. Dieser sei, kontert von Bracken allerdings, auch gar nicht gefährdet: „Den Bengel mit den Folgen seiner Tat zu konfrontieren – das ist doch auch Erziehung.“ Als unzureichend bewertet er den Vorstoß, dem Opfer lediglich das Recht auf Information zuzubilligen. „Jetzt ist es wahrscheinlich, dass wir einen entsetzlich kurzen Prozess erleben werden.“ Unbeantwortet blieben so die Fragen der Mutter: Stellen dürfte sie diese nur als Nebenklägerin. „Die muss sie nun ein Leben lang mit sich herum tragen.“