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Auf der Intensivstation

Die Charité ist ein Sanierungsfall – so viel ist gewiss. Wo wirklich gespart werden kann, darüber diskutiert die rot-rote Koalition. Morgen will Wissenschaftssenator Flierl (PDS) sein Unimedizingesetz im Abgeordnetenhaus vorstellen. Ein Krankenbericht

VON TINA HÜTTL

300 Jahre alt wird die Charité im Jahr 2010 sein – ob dem Traditionskrankenhaus dann allerdings zum Feiern zumute ist, ist fraglich. Das ehemalige Pesthaus vor dem Spandauer Tor hat sich seit der Wende beharrlich zur größten Universitätsklinik Europas gemausert. Bis 2010 muss die Charité nun gehörig Federn lassen und 212 Millionen Euro sparen, davon allein 144 Millionen Euro bei den Personalkosten.

Der Zwang zum Sparen ist nur die erste große Herausforderung. Die zweite ist, dass die mit dem Benjamin Franklin Uniklinikum fusionierte Universitätsmedizin Charité eine neue rechtliche Grundlage braucht, die Struktur und Hierarchien regelt und das provisorische „Vorschaltgesetz“ ablöst, das seit der Zwangsheirat 2003 galt. Doch schon der Entwurf des neuen Hochschulmedizingesetzes, den Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) morgen dem Abgeordnetenhaus vorstellt, sorgt gewaltig für Ärger zwischen den rot-roten Koalitionspartnern. Denn statt mit einem gemeinsam mit der SPD-Fraktion bereits erarbeiten Papier wartet Flierl nun überraschenderweise mit einem Parallelentwurf auf.

Umstritten zwischen SPD und Flierl ist vor allem, dass der Wissenschaftssenator so genannte Zentrumsräte und einen „Schlichtungsausschuss“ als neue Mitbestimmungsgremien installieren will, die im gemeinsamen Papier auf Druck der SPD bereits gestrichen worden waren. Laut dem Hochschulexperten der SPD-Fraktion Bert Flemming würden durch diese Räte die ohnehin komplexen Strukturen der Uniklinik unnötig aufgebläht – zusätzlich zum Akademischen Senat, den Fakultätsräten und den Institutsräten. „Dadurch werden Dualismen geschaffen, die dann in langwierigen Prozessen von dem Schlichtungsausschuss gelöst werden müssen“, kritisiert Flemming.

Flierls Idee der „Zentrumsräte“ steht in engem Zusammenhang mit der Strukturreform der Uniklinik. Das neue Unternehmenskonzept „Charité 2010“, das der Aufsichtsratsvorsitzende Flierl und die Klinikleitung gemeinsam mit der Unternehmensberatung Roland Berger erarbeitet haben, sieht vor, die bisher 128 Kliniken und Institute in 17 „CharitéCentren“ thematisch zu verschmelzen. „Die Zentrumsräte sollen“, so Flierl, „Vorschläge zur wissenschaftlichen Schwerpunktbildung und zur Schaffung leistungsfähiger Strukturen machen.“ – „Völliger Unsinn“ findet Flemming. Die Schwerpunkte der Zentren stünden längst fest, sogar Leitungspersonal wurde schon ernannt.

Mit der Zentrenbildung solle erreicht werden, Parallelstrukturen abzubauen, sagt der wissenschaftspolitische Sprecher der PDS-Fraktion, Benjamin Hoff. Das ist bitter nötig, wie ein kurzer Blick zurück zeigt: Nach der Wende existierten in Berlin vier große Klinikzentren: die Charité im Osten, das Rudolf-Virchow-Klinikum in Wedding, das Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Steglitz und das Klinikum Buch, zu DDR-Zeiten der größte Krankenhauskomplex westlich des Urals. Im Zuge der Neuordnung der Hochschulmedizin nach 1989 ist die Charité durch Fusionen zu einem immer schwieriger manövrierbaren Kliniktanker geworden, der Unsummen veschlingt. 51 Millionen Euro Verlust machte das Klinikum laut Benjamin Hoff im vergangenen Jahr.

Marodes Bettenhaus

Sparen muss die Charité noch aus einem weiteren Grund: Um fast 100 Millionen Euro kürzte das Land seine Zuschüsse für Forschung und Lehre bis zum Jahr 2010. Daneben beschert die bundesweite Einführung von Fallpauschalen, durch die Krankenkassen den Kliniken weniger für ihre Leistungen bezahlen, der Charité Einnahmeverluste. Hinzu kommt ein geschätzter Sanierungsbedarf für Klinikbauten von 515 Millionen Euro. Allein das prominenteste Gebäude, das 23-geschossige Bettenhochhaus in Mitte, würde 160 Millionen Euro verschlingen. Geld, das die Charité schlicht nicht hat. Deshalb hat Klinikumsdirektor Behrend Behrends schon laut über den Verkauf dieses Markenzeichens nachgedacht. Auch die Schließung oder Teil-Vermietung des unrentableren Virchow-Klinikums wurde erwogen. Laut einer vertraulichen Analyse des Charité-Vorstandes macht es von allen drei Standorten den höchsten Verlust.

Ob Schließung, Verkauf oder Teilvermietung von Standorten – grundlegende Bedenken für die medizinische Versorgungssituation der Berliner hegt man weder bei der SPD noch bei der PDS. Denn neben der Charité, die als Universitätseinrichtung laut Benjamin Hoff die „medizinische Supramaximalversorgung“ leisten soll, könnten die Bürger die in dem Krankenhauskonzern Vivantes zusammengefassten ehemals städtischen Kliniken aufsuchen. Im Gegensatz zu schwierigen Eingriffen wie einer Herzoperation leisten die Vivantes-Kliniken die gesundheitliche Basisversorgung, einfachere Eingriffe und die Ambulanz.

Die wichtigste Frage in der Reformdebatte der Charité ist für den gesundheitspolitischen Sprecher der SPD, Andreas Pape, deshalb, wie sich die Universitätsklinik mit dem ebenfalls landeseigenen Klinikunternehmen Vivantes abstimmen will. Absprachen zwischen den beiden Klinikunternehmen fänden so gut wie nicht statt, auch das neue Unternehmenskonzept „Charité 2010“ lasse viele Fragen offen.

Offen bleibt, ob es der Charité gelingt, 144 Millionen Euro an Personalkosten zu sparen, wie es das Unternehmenskonzept vorsieht. Zum einen sollen dafür rund 2.300 Stellen gestrichen werden – allerdings ohne betriebsbedingte Kündigungen. Im Konzept heißt es, man wolle dies mit veränderten Tarifverträgen, Zeitkonten, Qualifizierungsmaßnahmen sowie Abfindungen erreichen. Zudem werde die Wiederbesetzung von 45 Professorenstellen, die bis 2010 aus altersbedingten Gründen frei werden, sorgfältig geprüft. Etwa die Hälfte davon, schätzt Benjamin Hoff, dürfte aus Kostengründen nicht wieder besetzt werden. Seiner Meinung nach hätte dies für Forschung und Lehre nur geringe Auswirkungen wegen der vielen Mehrfachangebote.

Zum anderen sollen Gehaltskürzungen und eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden die Personalkosten merklich drücken. Bis April will die Charité ihre Tarifverhandlungen mit der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, dem Deutschen Beamtenbund und dem Marburger Bund, der Interessenvertretung der Ärzte, abgeschlossen haben. Der Vorsitzende des Berliner Landesverbands des Marburger Bundes, Manfred Husmann, ist allerdings skeptisch. „Das größte Problem ist nicht ein neues Vergütungssystem, sondern ein neues Arbeitszeitgesetz.“ Berlins Ärzte arbeiteten bisher in der Regel nach acht Stunden regulärem Dienst anschließend sechzehn Stunden als Bereitschaft. Zukünftig zählt dies nach einem Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshofes jedoch als 24-Stunden-Dienst und ist so nicht mehr möglich. „Im neuen Tarifvertrag wollen wir weg von den langen Arbeitszeiten“, sagt Husmann. Neu verhandeln will der Marburger Bund auch die untertarifliche Bezahlung, die die Charité seit dem letzten Jahr neu eingestelltem Personal bietet. Für die Charité dürfte das Sparen beim Posten Personal daher eher schwierig werden – und wahrscheinlich keine Einsparungen bringen.

Besitzfrage ungeklärt

Bliebe also hauptsächlich das Sparen durch Vermietung und Verkauf von Standorten. Aber auch hier ist ein wichtiges Detail ungeklärt, das eng mit der Frage der Rechtsformänderung zusammenhängt, die Wissenschaftssenator Thomas Flierl mit dem neuen Hochschulmedizingesetz klären will. Momentan ist die Charité eine Körperschaft öffentlichen Rechts und somit im Besitz des Landes Berlin. Das heißt: Zu ihrem finanziellen Nutzen verschachern kann die Charité ihre Gebäude nicht, da sie ihr nicht gehören. Sie kann sie nicht einmal beleihen – was der SPD nur recht ist, da sie eine weitere Verschuldung des Klinikums fürchtet, für die das Land die Gewährträgerhaftung hat.

Nur wenn die Charité auf diese Haftung verzichten würde, könne man ihr die Gebäude übertragen. „Das wird sie aber sicher nicht tun“, sagt Flemming. Ein weiterer Streitpunkt, der noch lange aktuell sein wird.

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