Das Gesetz in die eigene Hand nehmen

COWBOYS UND INDIANER Die Filmschau „Europas Western“ im Zeughauskino versammelt Genreversuche der Stummfilmzeit, des Nationalsozialismus und des Kalten Kriegs, darunter Beiträge aus der DDR und Rumänien

Historisch wie geografisch gibt es bedeutende (Zeit-)Räume zu durchqueren

VON BERT REBHANDL

„Donnerwetter, Ferguson!“ Beim Gründungsfeiertag des Stadt New Frisco gibt es alljährlich ein Preisschießen, und es ist ein Ordnungshüter, der dabei am genauesten trifft. Denn auch wenn es sich hier um eine Westernstadt handelt, hat sie doch ihre wilde Zeit schon lange hinter sich, und der ausgezeichnete Schütze Ferguson bringt sein Geschick auf der richtigen Seite des Gesetzes ein: „Mit der Polizei kommt keiner mit.“ In einem richtigen Western würde so ein Satz niemals fallen, dort gibt es schon einmal gar keine Polizei, sondern allenfalls „the law“, ein Gesetz, das immer in konkreten Figuren verkörpert ist.

Populäre Mythologie

New Frisco hingegen ist eine Erfindung der nationalsozialistischen Filmwirtschaft. 1939 drehte Paul Verhoeven diesen deutschen Western, der nicht zuletzt dadurch charakterisiert ist, dass er das gelungene Gemeinwesen schon voraussetzt: „Heute herrscht Ruhe und Eintracht“ in New Frisco, das man sich in der kanadischen Wildnis dachte, weil dort die berittene Polizei tätig ist. Auch das ist ein markanter Unterschied: Wyatt Earp und ein „Mountie“ im hohen Horden haben dann doch recht wenig gemeinsam.

Man kann „Gold in New Frisco“ von Paul Verhoeven also nur als Kuriosum sehen, allerdings ist es als solches natürlich aufschlussreich. Denn 1939 gab es den amerikanischen Western ja noch kaum in seiner klassischen Form, vielmehr dominierten damals die Serials, schnell gedrehte B-Filme, in denen John Wayne sich auf „Stagecoach“ hinarbeitete. Dass sogar im Hitler-Deutschland ein Western entstand, zeugt von der Popularität der zugrunde liegenden Formate, der billigen Romane, aber auch der Mythologie. Der Western ist ein Genre, in dem territoriale Expansion und anschließende Integration verhandelt werden – für ein Land, das Raum im Osten suchte, mussten die Parallelen auf der Hand liegen.

Wie man einer hochinteressanten Filmschau über „Europas Western“ im Zeughauskino entnehmen kann, war „Gold in New Frisco“ aber keineswegs der erste Versuch aus Europa, sich einen Reim auf das essenziell amerikanische Genre zu machen. „Po zakonu“ („Sühne“, 1926) von Lew Kuleschow entstand nach Vorlage einer Geschichte von Jack London und macht sich ebenfalls ein Bild von einem Goldrausch. Der theoretisch interessierte Regisseur wählte ein Setting äußerster Verdichtung: Ein Verbrechen ist geschehen, nun kommen die härtesten Monate des Winters, in einer Hütte müssen drei Leute es miteinander aushalten, zwischen ihnen steht die Frage, wie dem Recht Genüge zu tun ist. Das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen, das ist eben die Entscheidung, um deren Zulässigkeit es im Western auch dann geht, wenn er aus der frühen Sowjetunion stammt.

Historisch wie geografisch gibt es in der Reihe „Europas Western“ bedeutende (Zeit-)Räume zu durchqueren. Es erweist sich, dass die Blüte des Genres in Amerika (im Wesentlichen von Ende der 1930er bis Ende der 1950er Jahre) in alle Richtungen abgestrahlt hat – sie findet sich vorbereitet eben auch in deutschen Genremischungen wie bei Phil Jutzi, der „Sensationsdramen mit wilden Reiterszenen“ drehte („Erblich belastet“, 1913), und sie führt später zu zahlreichen Versuchen, die mythischen Potenziale des Westerns in andere Formen einzubringen (interessantestes Beispiel dafür vielleicht: Peter Schamonis Komödie „Potato Fritz“, ein Irrläufer des Neuen Deutschen Films aus dem Jahr 1976).

Ein nicht unwichtiger Aspekt der Schau im Zeughauskino, die von Cinegraph Hamburg und Bundesarchiv Filmarchiv kuratiert wurde, betrifft die Logik des Kalten Kriegs, die eben nicht nur atomare Abschreckung mit sich brachte, sondern auch in vielen anderen Bereichen nach Gleichgewichtszuständen suchte. Dies machte im Ostblock Filme erforderlich, die es mit dem Western aufnehmen konnten. So sind die Sowjetunion, aber auch Rumänien und die Tschechoslowakei in der Schau vertreten und natürlich die DDR, die nicht nur mit „Tecumseh“ (1972) einschlägige Erfolge hatte. Bezeichnend, wie man sich offiziellerseits damals um die Genrebezeichnung drückte: von einem „historischen Abenteuerfilm im Milieu der Indianer“ ist da umständlich die Rede. Die DDR-Western sind eine Reaktionsbildung nicht eigentlich mehr auf die amerikanischen Klassiker, sondern auf die Blüte der Eurowestern, nicht zuletzt die aus Italien, und schließlich auf die erfolgreichen Bearbeitungen von Karl-May-Stoffen im bundesrepublikanischen Nachkriegskino. Dass „Europas Western“ mit Harald Reinls „Der Schatz im Silbersee“ eröffnet, ist so naheliegend wie unumgänglich. Es ist aber die darauf folgende Vielfalt, die es angebracht erscheinen lässt, von einer exzeptionellen Filmschau zu sprechen.

■ „Europas Western“, Zeughauskino, bis 31. 1.