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AUSGEHEN UND RUMSTEHEN VON ANDREAS HARTMANNRein in den Wedding, raus aus dem Wedding

Warum jedes neue Partykonzept in Berlin mit Minimal-Techno anfängt und mit Minimal-Techno aufhört, bleibt ein Geheimnis

Berlin wird bekanntlich rundumgentrifiziert, die Stadt neu sortiert. Friedrichshain beispielsweise wird der nächste Prenzlauer Berg und Neukölln das Kreuzberg von morgen. Und dann wäre da noch Wedding, schon seit Jahren auf der Kandidatenliste für einen neuen Trendbezirk. Fashionmäßig geht hier schon was, hört man zumindest, Künstler wie Jonathan Meese haben ihre Ateliers im sogenannten Arbeiterbezirk – Arbeiterbezirk in einer Stadt ohne Arbeit klingt einigermaßen seltsam. Immerhin kann der Stadtteil jetzt von sich behaupten, die vielleicht abgefahrenste Partylocation der Stadt zu bieten, das Stattbad Wedding.

Jahre lang stand das ehemalige Schwimmbad in der Gerichtstraße leer, jetzt wird es betanzt. Aber nicht in den leeren Becken. Und auch die DJ-Kanzel befindet sich nicht oben auf dem Sprungturm, nein, die Partys steigen in den ehemaligen Maschinenräumen des Bades, zwischen Heizkesseln und riesigen Rohren. Damit wird an das Industrieambiente der goldenen Zeiten Techno-Berlins angeknüpft. Nach einem ehemaligen Tresorraum und einem stillgelegten E-Werk wird jetzt also der schummrige Keller eines abgewickelten Schwimmbads bespielt.

Am Samstag war „Endlich 18“-Party, Untertitel „The Urban Affairs Lovetours Special“. Warum Partys in Berlin solche Titel haben müssen, wie sie sich nicht einmal die schlechteste Werbeagentur ausdenken würde, bleibt ein Geheimnis. Warum jedes neue Partykonzept mit Minimal-Techno anfängt und mit Minimal-Techno aufhört, auch.

Man hat hier zwei hübsche Floors in einer unheimlich verwinkelten, abenteuerlich unübersichtlichen und riesigen Räumlichkeit, einen wahren Abenteuerspielplatz, der beinahe mit dem Berghain mithalten kann, stellt dann aber auf beiden Floors die fantasielosesten Minimal-DJs der Stadt ab. Auf dem einen Floor knarzte es nicht anders als auf dem anderen, auf sämtlichen Laptops wurden anscheinend ununterbrochen die Dateien „08/15-Berlin-Techno“ abgerufen. Uns fehlten die Drogen, um so etwas zu retten, und wir zogen mit folgender Überlegung weiter: Coole Location, fader Sound, Hipster-Event, aber kein Enthusiasmus spürbar – im Umkehrschluss könnte also die Nacht vielleicht eine echte Tourifalle retten, ein Laden, in den sich kein Berliner Szenemensch jemals verirren würde.

Also raus aus dem coolen Berlin von morgen, rein ins coole Berlin von gestern, ab ins August Fengler im Prenzlauer Berg, ein Abschleppladen mit fast so schlechtem Ruf wie das Kaffee Burger. Und es funktionierte: Wo man nichts erwartet, kann man eigentlich bloß positiv überrascht werden. Statt perfekt aufgelegtem Mainstream-Minimal gab es unheimlich mixkunstfreien Roots-Reggae von zwei Nerds, die ihre Singles-Sammlung dabeihatten und einfach ihr Ding durchzogen. Wir tanzten mit Erasmus-Studenten und Billig-Hostel-Touristen zu alten Lee-Perry-Produktionen, was uns plötzlich viel aufregender vorkam als ein temporärer Club in einem stillgelegten Schwimmbad im – ausgerechnet – Wedding.

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