Wohnen nach Beginenart

In Dortmund entsteht nach mittelalterlichem Vorbild ein Frauenwohnprojekt. Im Beginenhof wollen demnächst 30 Frauen leben, arbeiten – und das Rollenbild einer modernen Begine erschaffen

AUS DORTMUNDMIRIAM BUNJES

Sie wollten nicht auf männliche Hilfe angewiesen sein, um nicht zu verhungern. Sie wollten sich nicht von Kirchenoberen vorschreiben lassen, zu welcher Uhrzeit sie beten. Sowieso wollten sie nicht das sündige Geschlecht sein. Vor 800 Jahren waren die Beginen damit Revolutionärinnen. Überall in Europa entstanden ihre autonomen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften – Beginenhöfe genannt, immer kritisch beäugt von der männlich geprägten Öffentlichkeit. Ketzerinnen und Hexen wurden hinter den alleinstehenden Frauen und Witwen vermutet – weil sie sich hinter den Mauern ihrer Konvente bildeten und erfolgreich single blieben.

„Auch heute gibt es gute Gründe, lieber unter Frauen wohnen zu wollen“, sagt Heike Aßmann. „Eine entsprechende sexuelle Orientierung zum Beispiel. Oder das Bedürfnis nach weiblichem Verständnis und Solidarität.“ Die Infografikerin und 20 andere Dortmunderinnen wollen sich diese Bedürfnisse demnächst erfüllen: In etwa elf Monaten werden die Frauen moderne Beginen. Beim ersten Spatenstich am Freitag wird gejubelt, Luftballons fliegen in den regnerischen Himmel, die Lokalpresse macht Gruppenfotos. „Natürlich sind wir in einer anderen Position als die historischen Beginen“, sagt die künftige Bewohnerin Ulrike Jans. „Wir müssen unser Bedürfnis nach Unabhängigkeit zum Glück nicht mehr permanent verteidigen, wir können es einfach ausleben.“

27 Wohneinheiten, einen Gemeinschaftsraum, und einen 1.500 Quadratmeter großen Garten wird der Dortmunder Beginenhof umfassen. Eine Bewohnerin eröffnet im Wohnprojekt eine Praxis für Physiotherapie, eine andere ein Übersetzungsbüro und ein Fotostudio. Die Frauen wohnen zur Miete, die InvestorInnen haben im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus gebaut.

„Das Wichtigste an unserer Wohngemeinschaft ist das Gemeinschaftliche“, sagt Heike Aßmann. „Das kann das Teilen von technischen Geräten sein, aber auch, dass immer eine ein offenes Ohr hat. Außerdem wollen wir für uns, und auch für Frauen außerhalb der Wohngemeinschaft, Kulturveranstaltungen und Seminare in unserem Gemeinschaftsraum organisieren.“

Die Gemeinschaftsarbeiten werden gleichmäßig auf die Bewohnerinnen verteilt, „natürlich entsprechend den Begabungen und Wünschen der Einzelnen“, sagt Ulrike Jans. Im Garten wollen die Beginen Kräuter und Gemüse anbauen. „Für eine Selbstversorgung wird es wohl nicht reichen“, sagt Ulrike Jans. „Für den Rest der Lebensmittel planen wird eine food-coop, es ist ja auch billiger, wenn man zusammen größere Mengen einkauft.“

Religiös wird der Dortmunder Beginenhof nicht. „Einige Frauen sind Christinnen, andere sind andersgläubig oder glauben gar nicht. Wir haben uns deshalb keinen spirituellen Rahmen gesetzt“, sagt Heike Aßmann. „Unsere Rolle als moderne Dortmunder Beginen werden wir durch ständige Auseinandersetzungen, die aber immer Frieden als Ziel haben, im nächsten Jahr entwickeln und finden.“