Speicher für große Visionen

Ein Bildband stellt den umgebauten Speicher XI vor: Der ist nun Sitz der Hochschule für Künste, und, so hofft man, Herz eines neuen Stadtquartiers im alten Überseehafen

Am liebsten möchte der Leser gleich hin, in den Speicher XI in der geplanten neuen Überseestadt. Denn die Autoren des Bildbands „Von Warenspeicher zum Speicher der Künste“, den die Hochschule für Künste Bremen herausgegeben hat, preisen die Umgestaltung des alten Hafenreviers als „Entdeckung einer neuen Welt“, in der sich Kunst, Industrie und moderne Architektur treffen sollen. Nach einem Jahrhundert ist das 288 Hektar große Freihafengelände nun wieder für die Bevölkerung zugänglich.

Zentrum ist der unter Denkmalschutz stehende Speicher XI, in dem sich die Hochschule der Künste angesiedelt hat. Nach umfangreichen Umbauarbeiten des von 1908 bis 1910 errichteten Speichers hat sie sich einen Standort geschaffen, der das „Herz eines neuen Stadtquartiers“ bilden soll. 16 der jeweils 25 Meter breiten Segmente des länglichen ehemaligen Industriebaus hat die Hochschule belegt. Hier wechseln sich Büros, Ateliers, Bibliothek und Ruhe-Orte ab. Drei Monate nach der Hochschule hat auch das Hafenmuseum den Speicher bezogen.

Der Bildband verschweigt dabei nicht, dass das 2003 bezogene neue Gebäude noch Schwächen aufweist. Studierende beklagten das fehlende Zentrum ihres neuen Campus, es mangele noch an Cafés und die Mensa sei zu klein. Dafür gibt es eine Fülle von Visionen zur Zukunft des Speichers, der Überseestadt, überhaupt der ganzen Region, in denen auch Beiträge zur – mittlerweile gescheiterten – Kulturhauptstadtbewerbung nicht fehlen dürfen.

Natürlich, die Perspektiven machen Mut und sehen fotografisch bestens umgesetzt attraktiv und interessant aus. Doch ein wenig wirkt der Band, wie auch die Idee der neuen Überseestadt, wie Zukunftsmusik, die vielleicht nie erklingen wird. Alles international, und alles kommunikativ – Bremen als Kunst- und Designhochburg, eingebettet in ein verträgliches Umfeld? Ob die Überseestadt je zur Boom-Region Bremens wird? Man weiß es nicht. Aber träumen ist erlaubt – und die Autoren des Bandes tun dies zum Glück auch nicht immer ganz ernsthaft.

Wem das alles zu fern ist, für den hält der Bildband noch etwas Bodenständiges parat: Auf den letzten Seiten findet sich ein Rezept für Labskaus. Wem das Konzept der Überseestadt nicht schmeckt, kann sich also trotzdem an dem Bildband laben.

Kay Müller