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„Englisch ist biegsam“

Seit 1996 arbeiten Roland Lippok und Bernd Jestram mit ihrer Band Tarwater an der Verfeinerung elektronischer Musik. Neuerdings sogar mit Gitarren. Manche sagen Krautrock dazu, obwohl ihr Sound vom Club-Underground geprägt wurde

INTERVIEW RENÉ HAMANN

taz: Das neue Tarwater-Album klingt, als wäre es auf der Gitarre ausgearbeitet und danach elektronisch verziert worden.

Roland Lippok: Wir haben mehr Sachen auf der Gitarre komponiert als früher, aber eigentlich läuft es so, dass wir uns treffen und mit Soundsachen anfangen. Weit entfernt vom klassischen Songschreiben. Wir gehen von einem Sound aus, von kleinteiligen Elementen. In einem elektronischen Layout verstecken sich kleine Melodien, und die baut man dann aus.

Also ist Produktion gleich Komposition?

Bernd Jestram: Ja, genau.

Lippok: Auch die Texte sind meistens noch nicht fertig. Alles passiert parallel, entwickelt sich.

Die Instrumentalstücke auf „The Needle Was Traveling“ wirken ein bisschen wie Reminiszenzen an Ihre musikalische Vergangenheit. Ansonsten ist es eine sehr gesangsorientierte Platte geworden.

Lippok: Für uns ist das definitiv nicht so. Wir empfinden keine Hierarchie zwischen Gesangstracks und Instrumentals. Gewiss gibt es eine Gabelung – wird das ein Song oder sollte die Stimme lieber draußen bleiben, damit man dem Flow besser folgen kann. Wir gehen nicht hin und sagen: So, jetzt machen wir mal eine Gesangsplatte.

Jestram: Es gibt auf der Vinyl-Version noch eine D-Seite mit drei weiteren Instrumentals, die auf der CD fehlen.

Lippok: Wir denken eher in Kategorien wie A- oder D-Seite, weil wir mit Vinyl groß geworden sind.

Ihre aktuelle Tournee ist erstaunlich international ausgerichtet.

Jestram: Es ist definitiv so, dass wir mehr Platten im Ausland verkaufen als in Deutschland.

Wie werden Sie da gehandelt?

Lippok: In England wurden wir mit Krautrock in Verbindung gebracht. Da mussten wir sagen, dass wir viele dieser Krautrockbands nicht kennen und dass englische Elektronikbands für uns viel einflussreicher waren.

Fällt es Ihnen leicht, englische Texte zu schreiben?

Lippok: Was ich an Englisch mag ist, dass es weniger so was klares Nationales hat, sondern mehr ein Kommunikationsvehikel ist. Es ist biegsam.

Wie kommt man auf eine Zeile wie „The master of superstition is the people“?

Lippok: Die habe ich in einem Lehrbuch über gutes Englisch entdeckt. Der Satz ist eigentlich sehr klar. Seltsam, dass er vielen Hörern so kryptisch erscheint. Ich meine, natürlich sind die Leute für ihre Wirklichkeit selbst verantwortlich. Für ihren Aberglauben auch.

Jestram: Jeder hat zehn kleine Aberglauben, die er mit sich herumschleppt, um den Alltag zu meistern.

Sie haben ein Stück der belgischen 80er-Jahre-Band Minimal Compact gecovert. Was für Musik war noch wichtig?

Jestram: Alte Motown-Sachen zum Beispiel.

Lippok: Oder der frühe Brian Eno. Für uns ist wichtig, in der Stadt zu arbeiten. Wir haben nie daran gedacht, aufs Land zu ziehen und da in Ruhe zu produzieren. Wir gehen lieber nach Sessionschluss in die 8mm-Bar gegenüber und hören uns an, was da so aufgelegt wird. Die 8mm-DJ-Sets, vor allem die von Frauen, waren der größte Einfluss auf unsere Platte. Das macht einfach immer Spaß, den Leuten da zuzuhören.

Gehen Sie oft in Clubs?

Jestram: Eher auf Konzerte. Oder Freunde legen auf. Das Angenehme an der Musikszene in dieser Stadt ist ja, dass es nicht so ein Elfenbeinturm ist, sondern im Gegenteil große Bereitschaft besteht, sich gegenseitig einzuladen.

Sie haben rechtzeitig den Wechsel zu Morr Music geschafft. Wie ist das Verhältnis zu Kitty-Yo?

Lippok: Jedes künstlerische Projekt hat seine Ups und Downs. Es gibt immer noch interessante Acts auf Kitty-Yo. Und auch bei Morr Music gibt es einen Wandel – das Wohlfühlmäßige bricht da ja auch auf.

Jestram: Bei dem Wechsel war wichtig, dass das Label in Berlin ist. Wir mögen diesen freundschaftlichen Rahmen, die Möglichkeit, mit jemandem ein Bier trinken zu gehen und Dinge zu besprechen.

Lippok: Auch dass es sich um ein Indie-Label handelt, ist wichtig. Es macht noch einen Unterschied, ob du mit Major-Leuten zu tun hast oder nicht. Der Gedanke der Selbstverwaltung ist nicht so tot, wie manche glauben. Es geht um die Liebe zur Musik – dass die Leute eben nicht auf Kühlschränke umschwenken, wenn es mal nicht so läuft.

Jestram: Wenn Musik uns keinen Spaß mehr machen würde, würden wir sofort damit aufhören.

Von Ornament & Verbrechen und Rosa Extra noch zu DDR-Zeiten bis Tarwater war es ein weiter Weg. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Jestram: Der große Unterschied zu damals in der DDR ist, dass es Untergrund war. Es gab keinen Plan, keine Karriereambitionen. Das war eine Zeit lang spannend, wäre auf Dauer aber frustrierend geworden.

Lippok: Es gab einen Sympathisantenkreis und Tapes in kleinen Auflagen. Jetzt ist natürlich toll, dass man auch in Italien oder England auf Tour gehen kann.

Jestram: Oder in Sibirien.

Lippok: Als wir mit Tarwater angefangen haben Mitte der Neunziger, gab es die ersten Minimal-Electronic-Sets. Tolle Sache. Da gab es noch das Panasonic. Und aus dem Westen kamen Bands wie Mouse on Mars und Kreidler, die aus dem Genre gefallen sind, Elektronik und herkömmliche Instrumente gemischt haben.

Mit anderen Worten: Es waren Goldene Zeiten?

Jestram: Eine spannende Phase, ja. Aber ich sehe das nicht so wehmütig.

Lippok: Es ist auch gut, wenn etwas vorübergeht. Es tauchen immer wieder Sachen auf, mit denen man nicht rechnet.

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