Neue Formen

Auch in Zukunft bleibt das Fahrrad gerahmt – nur wie? Der Blick auf neue Modelle zeigt: Die Formenvielfalt nimmt zu, oft mit ungewöhnlichem Dreh

VON HELMUT DACHALE

Jahrzehntelang haben die Produktgestalter einen Bogen um den H-Diamantrahmenrahmen gemacht. Wenn sie überhaupt Neues ablieferten, dann halbherzige Modifikationen. Das klassische Rautengestänge galt nun mal als sakrosankt. Das ist vorbei. Selbst Traditionsmarken haben registriert, dass Rahmen mittlerweile auch ganz anders aussehen können – und trotzdem nicht unstabil sein müssen. Und so nimmt auch die niederländische Firma Gazelle, eigentlich aufs Hollandrad abonniert, einen „EasyGlider“ ins Programm. Das ist ein Scooter Bike, eine noch junge Spezies, etwas despektierlich auch Sesselrad genannt. Doch gerade dieser Typ scheint sich zu einer aufstrebenden Art zu entwickeln. Typisch für ihn: der nach oben offene Einheitsrahmen, garniert mit breitem Sattel plus Rückenstütze, die niedlichen 20-Zoll-Laufräder und der außerordentlich hoch gezogene Lenker.

Mit all dem ist auch die brandneue „Rivive“-Family von Giant ausgestattet. Vier Modelle, die sich ebenfalls durch die auffallende Rahmenform definieren. Doch kleine Unterschiede in der Optik gibt’s schon: Bei einem „Revive“ verlaufen die beiden mächtigen Alu-Hauptrohre (oder Schwingen) vollkommen ungebogen nach hinten. Sie haben ihren Treffpunkt beim Tretlager und bewegen sich von da in einem Winkel von etwa 40 Grad voneinander weg. Im Freiraum dazwischen sitzt das zentrale Federelement, die Kette arbeitet verdeckt – in der unteren der Schwingen. Da ist ja Platz genug. So ein Gestänge wirkt nicht eben filigran, doch das Bike insgesamt ist gedrungen und niedrig. Man sitzt aufrecht, der Boden ist ohne weiteres mit den Fußsohle zu erreichen. Und da Sattel, Rückenlehne und Lenker weiträumig zu verstellen sind, gibt es eben nur eine Rahmengröße.

Etliche Hersteller scheinen diese immer noch futuristisch anmutende Schwingenkonstruktion für zukunftsfähig zu halten. Auch der Hochpreisspezialist Riese und Müller, sein „Equinox“ ist bereits 2002 auf den Markt gekommen.

Utopia hingegen hat bei der „Libelle“, seit Anfang des Jahres zu haben, auf eine überkommende Form zurückgegriffen – auf die älteste Variante des so genannten Damenrahmens. Die zeichnet sich durch tief abgesenktes Oberrohr und tiefen Durchstieg aus, was bekanntlich das Besteigen des Fahrrades zu einer einfachen Übung macht. Nachteil: So ein Radl bekommt schnell das Rahmenflattern, vor allem bei Zuladung und etwas höherem Tempo. Das weiß man auch im Hause Utopia und hat bei der „Libelle“ besonderes Augenmerk gelegt auf die stabilisierende Verbindung zwischen Steuerkopf- und Sattelrohr. Das wird zwar auch mit jeder einfachen Mixteversion angestrebt, doch was Utopia daraus gemacht hat, ist außergewöhnlich.

So wird das Unterrohr an die höchste Stelle des Steuerkopfrohres geführt und nicht wie beim Mixte an dessen tiefsten Punkt. Dort endet vielmehr das Oberrohr, das auch auf der anderen Seite tief nach unten geführt wird. Das ergibt opulente Rundungen und ein seltsames Hin und Her. Die flach ovalisierten Rohre kreuzen sich, man könnte glauben, sie sind verflochten. In Wirklichkeit wird das eine durch ein gefrästes Loch des anderen geführt.

Das macht Sinn, erklärt Ralf Klagges, Utopia-Inhaber und Konstrukteur der „Libelle“: „Der Rahmen ist überaus stabil, gleichzeitig ist das Fahrrad schnell und hat einen tiefen Durchstieg.“ Die Geometrie schaffe es, scheinbar Gegensätzliches zu vereinen. „Mit diesem Modell wollen wir zeigen, dass Komfort und sportliches Fahren durchaus zusammengehören“, meint Klagges. Und so bezeichnet der Hersteller seine Neuheit mal als Trekkingrad, mal als Fitnessbike, zudem sei sie auch noch tourentauglich.

Das alles ist jedoch mit einem H-Diamantrahmenrahmen auch zu haben, im Großen und Ganzen. Und so dürfte die Fachwelt noch einige Zeit zu rätseln haben, ob mit der „Libelle“ oder womöglich auch mit den Schwingenkonstruktionen der klassischen Geometrie dauerhaft Paroli geboten werden kann. Future will show it.