Erbauliche Attraktionen gesucht

Wer im thailändischen Khao Lak Urlaub machen will, sollte gute Gründe für seine Reise haben: Zu den neuen Sehenswürdigkeiten gehören bedrückend menschenleere Strände, Trümmerwüsten und ein aufs Land gespültes Polizeiboot

VON VOLKER KLINKMÜLLER

Bis vor kurzem hat Anukul Charoenkul noch ganz gute Geschäfte gemacht. Zwar hatte er sein Restaurant mit einer gehobenen Speisekarte für fangfrische Meeresfrüchte erst im November eröffnet und seit dem Tsunami die zahlungskräftigen Ausländer als Gäste gleich wieder verloren. Doch schnappte er sich am Morgen des 26. Dezember geistesgegenwärtig seine Videokamera, als sich das Wasser so komisch zurückzog, und filmte die Apokalypse Khao Laks aus sicherer Hügelhöhe von Anfang an – auch als dort unten immer mehr Leichen angespült wurden. Mit dem emsigen Verkauf des privaten Katastrophenfilms zum Stückpreis von rund sechs Euro konnte sich der 30-Jährige zwar ein ganzes Weilchen über Wasser halten, doch dann beutelten ihn die landestypischen Raubkopierer, die den Markt mit Billigkopien seines Werks überschwemmten. Deshalb hat er sich nun darauf verlegt, Landsleute mit Billiggerichten abzufüttern – wenn sie voll Schaulust in großen Bussen durch das Katastrophengebiet rollen. Wer hier die Naturkatastrophe überlebt hat, darf, was die Mittel der weiteren Existenzsicherung angeht, nicht besonders wählerisch sein.

Nach offizieller Einschätzung wird eine relative Normalisierung des Tourismus in dieser Region frühestens für die übernächste Hochsaison im November 2006 erwartet. Denn in den unendlichen, dünn besiedelten Weiten der Strandlandschaften von Khao Lak, die sich über rund 40 Kilometer die Festlandküste nördlich von Phuket hinaufziehen und erst vor wenigen Jahren als Urlaubsziel entdeckt wurden, haben die Naturgewalten mit ihrer ganzen Wucht zugeschlagen. Über 4.200 offiziell registrierte Todesopfer – davon mehr als die Hälfte Ausländer – hatte es gegeben, während 90 Prozent der Hotels und ganze Dörfer nur noch als Ruinen oder in Form von Fundamenten zurückgeblieben sind. Viele Einheimische sind traumatisiert und scheuen bis heute die Begegnung mit dem Meer und versuchen mit buddhistischer Meditation, das Trauma loszuwerden.

Nach wie vor kommen auch einige Ausländer. Darunter rund 150 freiwillige Helfer aus 28 verschiedenen Ländern, die sich schon vor dem Gefängnis fürchten mussten, weil die Regierung unter ihnen verkappte Langzeittouristen vermutete und den Nachweis von Arbeitsgenehmigungen verlangen wollte. Sie wohnen im „Khao Lak Nature Resort“, das sich ins „Tsunami Volunteer Centre“ (TVC) verwandelt hat. Die übrigen Ausländer indes verteilen sich auf rund zwei Dutzend Hotels, die mit immerhin insgesamt rund tausend unversehrten Zimmern aufwarten können. Dabei soll es langfristig natürlich nicht bleiben: Am 19. Februar hatte Premierminister Thaksin Shinawatra bei seinem Besuch vor Ort höchstpersönlich den Baustopp aufgehoben, sodass einige namhafte Resorts bereits wieder bis November eröffnen wollen. Sogar das in aller Welt als Symbol für hohe Opferzahlen bekannt gewordene „Sofitel Magic Lagoon“, das sich einst mit dem größten Schwimmbad der Welt rühmte, will um die Jahreswende wieder mitmischen.

Zu den neuen „Sehenswürdigkeiten“ Khao Laks zählt neben bedrückend einsamen Stränden und einplanierten Trümmerwüsten auch das graue Marinepolizeiboot 813, um das ein 32.000 Quadratmeter großer Park mit Museum und Mahnmal entstehen soll: Es war zum Schutz des beim Wasserskifahren ums Leben gekommenen Königenkels Phoom abkommandiert und von der ungeheuren Wucht der Flutwellen an diese Stelle – fast zwei Kilometer im Landesinnern – geschleudert worden. Ganz Thailand wird sich zum Monatsende noch einmal schmerzlich daran erinnern, wenn König Bhumibol Adulyadej den Leichnam des landesweit prominentesten Tsunami-Opfers am 30. April zur Einäscherung geleiten wird. Für die Ausgestaltung der geplanten Gedenkstätte soll ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben werden.

Auch andernorts entlang der Küste der Andamanen hat das thailändische Kulturministerium von der Naturkatastrophe verwüstete Grundstücke aufgekauft. Diese sollen vorerst unangetastet bleiben, aber später – vielleicht sogar zusammen mit den beiden buddhistischen Tempelanlagen Wat Bang Muang und Wat Yanyao, die über Wochen als Aufbewahrungsort für die geborgenen Leichen gedient hatten –als Gedenkstätten zu einer Art touristischer Perlenkette verknüpft werden. Angehörige eines australischen Todesopfers haben bereits deutlich gemacht, wo sie da die Grenzen sehen: Sie kritisierten eine möglicherweise unangemessene Ausgestaltung von Tsunami-Themenparks – zum Beispiel mit anschaulich nachgebildeten Riesenwellen aus Zement, Kunststoff oder Metall.

Gern etwas für die Wiederbegrünung der Region tun würde indes der Deutsche Richard Doring – wenn man ihn nur ließe. Wie auffallend viele Landsleute und Firmen aus seinem Heimatland hatte er sich in Khao Lak schon frühzeitig als Tourismuspionier engagiert und der Region zu immer mehr Popularität verholfen: „7.000 Palmen, 4.000 Büsche, 800 Quadratkilometer Gras und 40.000 Pflanzen wären notwendig, um den Kern Khao Laks wieder zu begrünen“, sagt er. Doch von der deutschen Botschaft in Bangkok kam statt der erhofften Spendengelder nach einer Woche nur die Absage. Nun forciert der 56-Jährige, der die Einheimischen stets zum Wiederaufbau ermuntern will, den Bau neuer Hotelzimmer. „Denn ein Touristenbungalow“, so rechnet der gebürtige Schwabe vor, „kann hier bis zu 20 Personen ernähren.“ Vor allem den kleinen, finanzschwachen und familiär geführten Urlauberanlagen will er helfen – und schafft dafür massenhaft neuartige Bausteine herbei: Diese werden nur von der Sonne gebrannt, kommen ohne Zementverfugung aus und sind sogar erheblich billiger als vergleichbare, konventionelle Baumaterialien.

Nach einem möglichst frühzeitigen Wiedereinsetzen des Fremdenverkehrs – zumindest mit Tagestouristen im unzerstörten, bergigen Hinterland der malträtierten Küstenregion – sehnt sich auch Nachapongchai Yiram. Denn der Besitzer des Elefantencamps „Asia Safari Khao Lak“ weiß fast vier Monate nach der Naturkatastrophe kaum noch, wie er seine fünf Dickhäuter durchfüttern soll. Als Khun Simon – wie er von Freunden und Besuchern genannt wird – am Morgen der Tsunami-Tages vom Flughafen auf Phuket zu seinem Anwesen nach Ban Khao Lak zurückkehrte, war er mit den schrecklichsten Bildern von Verwüstung und Leid konfrontiert. Auf der Zufahrt lagen Tote, während in den Baumwipfeln Verletzte zuckten und auf den Straßen noch von den Wellen herbeigespülte Fische oder Garnelen tänzelten.

Obwohl er bereits von seinen ersten Eindrücken traumatisiert war, hatte er damals spontan rund 200 vor den Fluten flüchtende, völlig verschreckte Menschen in seinem an einem Berghang gelegenen Haus aufgenommen. Doch nun muss er um sein eigenes Überleben kämpfen – und um das seiner fünf Dickhäuter. Denn seit die Region bis auf weiteres von der touristischen Landkarte gestrichen ist, fehlt ihm Geld für das Futter. „Meine Tiere waren als Glückssymbole und Fotomotive immer sehr begehrt“, sagt der 51-Jährige. „Aber sie vertilgen rund eine Tonne Grünzeug und Obst pro Tag. Wenn die ausländischen Gäste längere Zeit ausbleiben, werden wir uns wohl von ihnen trennen müssen.“ Das wäre wirklich schlimm – aber nicht nur für ihn, seine Familie und die Mahouts. Denn was Khao Lak jetzt braucht, sind möglichst erfreuliche und unverfängliche Touristenattraktionen, weit weg vom Trauma.