Antijapanische Revolte im Internet

Millionen Chinesen protestieren gegen einen ständigen Sitz Japans im UN-Sicherheitsrat, Aufrufe zum Boykott

Protestiert wird inzwischen nicht mehr nur im Web, sondern auch vor japanischen Läden

PEKING taz ■ Jeden Tag sind es mehr. Sie wollen die Opfer des Krieges trösten und die nationale Demütigung nicht vergessen. Sie wollen die Nation verjüngen und den chinesischen Geist kondensieren. Sie wollen mit ihrer Aktion eine neue große Mauer bauen. Gestern betrug ihre Zahl nach Angaben der Initiatoren genau 29.523.451 Menschen, fast so viel wie ein Viertel der Bevölkerung Japans. Sie alle, so gibt die Webseite www.china918.net bekannt, haben für die Kampagne gegen Japans ständige Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat ihre Unterschrift gegeben.

Die Webseite hat ihren Namen nach dem Datum der japanischen Invasion in der Mandschurei: neun-achtzehn, der 18. September 1931. Ihr Motto lautet: „Wie konnten wir die Geschichte vergessen?“ Ihr Gründer, Wu Zukang (Internetname: Lao Wu), Jahrgang 1949, ist Angestellter einer Schanghaier Chemiefabrik. Zur Gründung der Webseite gratulierte ihm das Zentralkomitee der kommunistischen Jugendliga. Das war im August 2000.

Wu wohnt mit seiner Frau und seiner Tochter in einer kleinen 23-qm-Wohnung in Schanghai. Sie haben zwei Computer. Die Tochter hilft ihm. Lokale Firmen haben gespendet. Wu macht mit der Webseite immer noch Verluste. Doch jetzt hat er fast 30 Millionen Unterschriften gesammelt. Nicht ganz allein. Sein Aufruf wurden von anderen übernommen. Die größten Internetportale des Landes machten mit.

„Hundert Webseiten warten auf Ihre Unterschrift“, heißt es jetzt auf Wus Webseite. So fing alles klein an – und ist nun längst Gegenstand der Weltpolitik. Denn Wus Unterschriften symbolisieren auf dramatische Weise die sich rapide verschlechternden Beziehungen zwischen Peking und Tokio.

Plötzlich rächt sich die politische Funkstille der letzten Jahre. Schon seit 2001 gibt es keine chinesisch-japanischen Gipfeltreffen mehr. Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao will den japanischen Premierminister Junichiro Koizumi so lange nicht treffen, wie der regelmäßig den Yasukuni-Schrein in Tokio besucht, wo auch japanische Kriegsverbrecher geehrt werden.

In diese Lücke der offiziellen Kontakte stößt jetzt die neue antijapanische Bewegung in China. Nicht nur im Internet tobt der Protest. Am vergangenen Wochenende fanden in mehreren chinesischen Provinzstädten spontane Proteste vor japanischen Kaufhäusern statt. Die Demonstranten forderten den Boykott japanischer Produkte. Die Regierung in Peking goß daraufhin Öl ins Feuer. Sie bestellte den japanischen Botschafter ein und protestierte damit gegen ein neues japanisches Schulbuch. Das wurde von Rechtsnationalisten formuliert und verharmlost aus Sicht Pekings Kriegsverbrechen wie das Nanjing-Massaker, bei dem 1937 nach chinesischen Angaben 300.000 Chinesen von japanischen Soldaten getötet worden waren.

Anfang der Woche startete Chinas Regierung eine Medienkampagne, die Japan den Vorwurf machte, seine Geschichte nicht aufgearbeitet zu haben und „Weiß nicht von Schwarz unterscheiden“ zu können.

Erst seit Donnerstag versucht man die Stimmung wieder abzukühlen. Peking hat weitere Berichte über Wus Unterschriftenkampagne in den Medien verboten. Zugleich beteuerten hochrangige Regierungsmitglieder, dass sie mit einer weiteren Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen rechnen.

Japan und China sind für einander je die wichtigsten Handelspartner – doch nützt das bisher den politischen Beziehungen wenig. Für heute haben Pekinger Studenten zu einer nicht angemeldeten Demonstration vor einem Elektronikkaufhaus aufgerufen. Auch sie wollen zum Boykott japanischer Waren aufrufen.

Japans Botschaft in Peking warnte gestern ihre Landsleute, sich von den Protesten fernzuhalten. Sie beruft sich auf Informationen aus dem Internet, nach denen mit 10.000 bis 20.000 Demonstranten zu rechnen sei. Bereits zuvor hatte Premier Koizumi die Regierung in Peking aufgefordert, die Sicherheit der Japaner in China zu gewährleisten. In Schanghai leben inzwischen nach New York und Los Angeles am meisten Japaner außerhalb ihres Heimatlands.

GEORG BLUME