berliner szenen Traumpost (11)

Postkoloniales Kenia

„Tristan“, schmachtete die Frauenstimme. „Isolde!“, antwortet der Tenor. Wieso hörte er ausgerechnet Richard Wagners Oper, während er in einem klapprigen Kleinbus durch das kenianische Rift-Valley raste?

Tränen füllten seine Augen, während er das halbe Dutzend gelbstaubiger Wirbelsturmrüssel in der trockenen Ebene beobachtete. „Vulcano Bar“ las er auf einer rostigen Wellblechhütte im Sand. Plötzlich winkte ihm ein Masai vom Pistenrand zu, der eine abgemagerte Kuh auf ein fernes Felsmassiv zutrieb. Grellrot leuchtete sein Umhang, als er den Speer zum Himmel hob.

„Djambo, djambo!“, lachte der schwarze Fahrer in sein rauschendes Mikrofon, und eine verzerrte Stimme aus dem Äther antwortete: „Kwaheri, kwaheri!“. Machten die sich über ihn lustig? Da musste er plötzlich selbst grinsen, weil er sich an das fette Flusspferd im Hotelpool erinnerte. Doch sollte ihm das nicht erst übermorgen begegnen, am Naivasha-See?

Eine Sekunde nur noch, und dann befand er sich auch schon in der Mara Sopa Lodge und öffnete einen Brief, den ihm ein als Portier verkleideter Kikuyu an seiner Zimmertür überreichte.

Draußen gingen gerade einige als Masai verkleidete deutsche Frührentner zur Hyänenfütterung am Rand der Anlage, und dann waren da noch diese Affen am Fenster seines Apartments, die ihm Brotstückchen hereinreichen wollten und ihm dabei aufmunternd zuzwinkerten.

Es war Post aus Bielefeld. Im Briefumschlag fanden sich einige Mantelknöpfe und ein Abflusssieb. Das war der Moment des Erwachens. Beklommen trat er ans Fenster und sah in einen Neuköllner Hinterhof hinunter. Schneeflocken segelten umher. Er wusste, dass er einsam war.

JAN SÜSELBECK