„Die linke Hand zeigt nach oben“

MUSIKFESTIVAL Gleich am ersten Tag der Sommerlichen Musiktage Hitzacker spielt das international besetzte Ensemble Sarband einen „Walzertraum zwischen Orient und Okzident“. Ensemble-Leiter Vladimir Ivanoff erklärt, warum Derwische eigentlich Walzer tanzen

ist Musikwissenschaftler und Musiker. Der gebürtige Bulgare leitet seit 1986 das Ensemble Sarband, bei dem er die Laute spielt.Foto: Judith Haug

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr Ivanoff, was haben Mozart-Walzer und Derwisch-Tänze gemeinsam?

Den Dreiviertel-Takt. Denn das Dreier-Metrum galt nicht nur den muslimischen Derwischen als göttliches, weil perfektes Metrum, sondern auch im mittelalterlichen Europa. Mittelalterliche Kirchenmusik ist immer in Dreier-Metren geschrieben. Und auch das meditative Drehen, das die Derwische praktizieren, hatte in Europa früher eine religiöse Bedeutung: Es gab sakrale Dreh-Tänze, die bis zum 16. Jahrhundert in europäischen Kirchen Standard waren. Dann verbot man sie, weil sie sehr weltlich geworden waren. Seither ist die göttliche Symbolik des Dreier-Metrums im Westen in Vergessenheit geraten: Der Walzer, der wichtigste Tanz im Dreiviertel-Takt, hat ja eine starke erotische Konnotation. Bei den Sufi-Brüderschaften, denen die Derwische entstammen, ist die religiöse Symbolik des Dreier-Metrums dagegen noch erhalten. Unser Programm ist der Versuch, diese beiden Welten wieder zusammenzuführen.

Welche Rolle spielen die osmanischen Komponisten Demetrius Cantemir und Dede Effendi, die Sie in Hitzacker spielen, bei dieser Synthese?

Die Werke Cantemirs, eines der bekanntesten Komponisten klassischer türkischer Musik des 18. Jahrhunderts, sind Instrumentalstücke im Walzerrhythmus, die im Serail der Sultane erklangen. Ob dazu getanzt wurde, ist schwer zu rekonstruieren. Und Dede Effendi war Ende des 18. Jahrhunderts der bekannteste Komponist des osmanischen Reichs und Hofmusiker der türkischen Sultane. Er war aber auch ein geistiger Oberer der Mevlevi-Derwische und hat in beiden Funktionen viel Musik geschrieben – geistliche und weltliche also. Man weiß auch, dass er sich stark von westlicher Musik inspirieren ließ, auch von der Walzer-Mode des 18. Jahrhunderts. Und da er im Walzer das göttliche Dreier-Metrum entdeckte, fühlte er sich frei, Walzer-Elemente auch in seine geistlichen Werke zu integrieren – etwa in die Musik für die Mevlevi-Derwische.

Was zeichnet diese Derwische aus?

Mevlevi-Derwische sind die so genannten wirbelnden Derwische, die weiße Gewänder und runde Hüte tragen. Sie zählen zu den kunstsinnigsten Brüderschaften im Orient, weil ihre Rituale von Vokal- und Instrumentalmusik begleitet werden. Ihre Versenkungsübung besteht in einem stetigen Drehen, das in ein Ritual eingebunden ist.

Wer wird eigentlich Derwisch?

Es sind Mitglieder von Laienbrüderschaften, die verschiedensten Berufen entstammen können. Unserer beiden Derwische sind Immobilienmakler und Stoffhändler. Die Laienbrüder leben auch nicht zusammen, sondern treffen sich einmal wöchentlich, um gemeinsam zu beten und ein Ritual zu vollziehen, das jenseits der orthodoxen Liturgie liegt. Und das ist bei den Mevlevi-Derwischen eben das instrumental begleitete Drehen als Meditationsübung.

Was symbolisieren die Derwisch-Tänze?

Haltung und Kleidung symbolisieren, dass die Menschen zwar leben, aber gleichzeitig immer dem Tod geweiht sind: Die Hüte der Derwische symbolisieren muslimische Grabsteine. Die linke Hand der Tänzer zeigt nach oben und empfängt Energie aus höheren Sphären, die rechte geht nach unten und überträgt sie auf die Erde. Letztlich geht es darum, göttliche Liebe zu den Menschen zu bringen. Das bis zu vierstündige Gesamtritual ähnelt einer Messe: Es gibt einen geistlichen Oberen und einen Gehilfen, man verbeugt sich, macht kleine Prozessionen, dann dreht man sich wieder.

Das erste Stück des Abends, „Die Osmanen“, entstand im 19. Jahrhundert und stammt von Joseph Lanner. Spielen Sie es, um die Rezeption der Osmanen durch Europa zu persiflieren?

Natürlich haben sich europäische Komponisten – auch Mozart in seiner „Entführung aus dem Serail“ – über die Osmanen belustigt. Andererseits enthalten auch Dede Effendis Walzer ironische Anspielungen auf die Europäer. Das muss auch so sein: Dialog funktioniert nur dann, wenn man es schafft, sich über einander lustig zu machen.

Samstag , 25. 7., 19.30 Uhr,

Hitzacker