Dickfelligkeit beim Pflegestreit

PFLEGE Wegen der Caritas-Altenheime gerät Sozialministerin Ross-Luttmann unter Druck. Bischöfin Käßmann fürchtet um die Glaubwürdigkeit des kirchlichen Engagements

VON MICHAEL QUASTHOFF

Im Streit um den Verkauf von fünf niedersächsischen Caritas-Altenheimen an das evangelische Berliner Johannesstift gerät Sozialministerin Mechthild Ross-Luttmann (CDU) zunehmend unter Druck. Zuletzt warf Diakoniepastor Hans-Martin Joost (Hannover) der Politikerin Tatenlosigkeit vor, weil mit Pflegesätzen, die meterweit unter dem Bundesdurchschnitt liegen, Pflegekräfte nicht mehr angemessen zu bezahlen sind. Kurz zuvor hatte Propst Martin Tenge, Chef des Caritasverbandes Hannover, die Situation in der niedersächsischen Altenpflege als „sozialpolitische Katastrophe“ bezeichnet.

Auslöser der Protestkundgebungen ist ein Haustarifvertrag, dessen Unterschrift das Johannesstift als Bedingung für die Übernahme der kurz vor der Insolvenz stehenden Heime verlangt. Er ermöglicht dem Stift, die Löhne bei betrieblichem Notstand nach Gutdünken zu senken. Im Fall der 500 Caritas-Mitarbeiter bestehen die Berliner auf 13 Prozent Lohnverzicht und müssen sich sich dafür nicht nur von Ver.di „Lohndumping“ vorwerfen lassen. Landesbischöfin Margot Käßmann sieht die Glaubwürdigkeit des kirchlichen Engagements gefährdet, „wenn schon wir als evangelische Diakonie beginnen, die Löhne zu drücken“. Dafür sind in Niedersachsen eigentlich die privaten Betreiber zuständig. Sie zahlen seit langem unter Tarif, durchschnittlich 10.000 Euro weniger Jahreslohn als die sechs freien Wohlfahrtsverbände, und sie haben mit 59 Prozent einen Großteil des Pflege-Marktes unter Kontrolle.

Angesichts der desaströsen Bedingungen im Lande hatten drei Caritasverbände schon im März einen „Pflege-Alarm“ ausgerufen, ein Warnsignal, dem sich auch Käßmann wortmächtig anschloss.

Ross-Luttmann fühlt sich nicht zuständig, schließlich herrsche das Prinzip der Selbstverwaltung. Sie sieht Heimbetreiber, Kassen so wie die Kommunen als örtliche Sozialhilfeträger in der Pflicht. Man moderiere nur und habe keinen Einfluss auf die Pflegesätze, sagte sie der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Auf Nachfrage der taz verwies ihre Pressestelle auf das so genannte „vereinfachte Verfahren, mit dem die Träger in Niedersachsen ihre Pflegesätze moderat erhöhen können“ und auf die Pflegesatzkommission, wo stets alles von allen Beteiligten im „Einvernehmen ausgehandelt“ werde.

So viel ministerielle Dickfelligkeit brachte Joost auf die Palme. Er nannte die Argumentation „formaljuristisch“ und forderte, Ross-Luttmann möge endlich „das Gewicht ihres Amtes in die Waagschale werfen“.

Das sie das nur unzureichend tut, findet auch Susanne Jünke-Mielke, betriebswirtschaftliche Beraterin der Diakonie und bis Juni 2009 Vorsitzende der Pflegesatzkommission. Da sich die niedersächsischen Pflegekassen bei der Festlegung der Pflegesätze an den Durchschnittskosten aller Heime orientieren, sei die Dumping-Politik der Privatbetreiber für die Wohlfahrtsverbände ruinös. Deshalb, weiß der Pflege-Profi, wäre auch das „vereinfachtes Verfahren“ der Ministerin eher „ein Placebo“. Es gehe lediglich um maximal 3,9 Prozent Erhöhung für einen Zeitraum von sechs Jahren. „Selbst die blockieren aber einige der klammen Kommunen“, sagt Jünke-Mielke. „Verlierer sind am Ende immer die pflegebedürftigen Menschen.“