Dreimal Frühling

ALPENWIRTSCHAFT Sie reden viel und reflektieren gern: Die Bauern in Hans Haldimanns Dokumentarfilm „Bergauf, bergab“ sind anders als ihr Klischee

Ein Film, der sich eine Dokumentation über den Berg und die Bergbauern vornimmt, begeht selbst eine Gratwanderung. Will er die Wahrheit sagen, muss er die Lügen kennen. Denn so groß und mächtig das Massiv einer Berglandschaft ist, so breit und wehrlos war es immer auch für Projektionen.

Der Berg kann am wenigsten davonrennen vor dem, was ihm und seinen Bewohnern ewig angedichtet wird. Daher kann auch ein Filmemacher kaum unschuldig an das Sujet herangehen. Er muss wissen, wie er die Wahrheit im Klischee entschlüsselt, wie oft er beispielsweise mit weißen Gebirgsmassiven im roten Dämmerlicht verführen will. „Bergauf, bergab“ von Hans Haldimann beginnt zwar mit einer solchen Einstellung, doch er hütet sich im Laufe des Films vor stummen Bergmassiven mit Alphorn.

Auch die junge Bäuerin ist anfangs nur am Herd zu sehen. Dann jedoch lernen wir sie in nahezu allen männlich definierten Disziplinen kennen, und vor allem auch als Sprechende. Die Leute selbst sprechen zu lassen, ist die erste glückliche Entscheidung des Films. Sie sind alles andere als auf den Mund gefallen. Sie sprechen gerne, und sie reflektieren viel. Über ihr gegenwärtiges Leben, das Schöne daran, das Schwierige und das Unsichere. „Das ist das Verrückte, aber auch das Spannende“, nicht zu wissen, wie es kommt, meint Max Kempf, der junge Bauer.

Der Film ist kein Film über Traditionen, in denen Bergmenschen gerne zu schweigenden Vollstreckern generationenübergreifender Gesetze bestimmt werden. Es geht vordergründig um ein ökonomisches System in den Innerschweizer Bergen, das eine besondere Lebensform einschließt. Das junge Paar, Max und Monika Kempf, betreibt nicht nur einen Hof, sondern einen sogenannten Stufenbetrieb mit drei Hofstellen auf je unterschiedlicher Meereshöhe, vom Tal bis zur Baumgrenze. Insgesamt, wird gerechnet, wechseln sie im Jahr zehnmal den Ort, und sie erleben damit, wie Regina Kempf, die Mutter von Max Kempf, bemerkt, „dreimal Frühling. Das ist einfach schön.“

Seit der junge Bauer denken kann, ist der Milchpreis gesunken, und er sinkt weiter, bis zur Fragwürdigkeit der Betriebe. Früher war’s ein Haupteinkommen, jetzt ist es ein Teilverdienst. Wie für andere Selbständige mit prekärem Status, so gilt auch für dieses junge Bauernpaar, dass sie ihre Lage ständig neu einschätzen müssen. Was für einen Beamten vom Bund rational nicht förderungswürdig ist, wie die Renovierung von Stall und Scheune auf fast 2.000 Metern Höhe, wird von den beiden Bauern trotzdem in Angriff genommen. „Eigentlich existieren wir im Prinzip vom Bund her gesehen nicht“, sagt Monika Kempf und lächelt, „aber wir existieren trotzdem.“

„Bergauf, bergab“ steht in einer Reihe mit jenen Filmen, die der Frage nachgehen, woher unsere Nahrungsmittel kommen und welchen Preis wir dafür zahlen. Wer am besten keinen mehr bezahlen will, sollte sich über das Ausmaß der Zerstörung im Klaren sein. Diese Tatsache legen uns viele Filme wie der schocktherapeutisch „Food Inc.“ nahe, über Massentierhaltung und Fastfood-Produktion in den USA. Meist zeigen sich platt gewälzte, bereits kaputte Strukturen. In Hans Haldimanns Film hingegen sehen wir etwas, das noch besteht, eine unbeschreiblich mühsame Arbeitsweise, in der Nahrung hergestellt wird, die allen eine Existenz ermöglicht, auch dem Tier.

Was diesen zwischen Ankunft und Aufbruch bewegten Menschen jedoch fehlt, ist das Klagen. Solange sie so leben und arbeiten können, drängt es sie jeden Tag, nach vorne zu sehen. Und es liegt eine Schönheit in ihren klaren wie eigenwilligen Gedanken. „Darum sind wir oben, und die anderen sind unten. Und wir leben von denen unten, und die unten leben von uns.“

MAXI OBEXER

■ „Bergauf, bergab“. Regie: Hans Haldimann. Dokumentarfilm, Schweiz 2008, 101 Min., Brotfabrik-Kino