Akademische Spielwiese

POETIK-VORLESUNG Thomas Meinecke doziert an der Frankfurter Universität

Er hatte es angekündigt. Unten auf dem Tisch steht tatsächlich ein Plattenspieler. Auf der Tafel dahinter sind in großen Lettern die Themen des Abends angekündigt: „Geschlecht und Charakter“. Oder „Gender Trouble“. Wenn die Erinnerung nicht trügt, hatte bereits Rainald Goetz während seiner Frankfurter Poetikvorlesungen eifrig an die Tafel geschrieben, 14 Jahre zuvor; nun also Thomas Meinecke im noch immer etwas steril wirkenden riesigen Hörsaal 2 des neuen Campus Westend.

Manche Pulte sind auch hier bereits mit Zeichnungen verziert worden. So zum Beispiel am vierten Sitz von links in der obersten Reihe rechts. Da prangt ein nie aus der Mode kommender, dilettantisch mit Kugelschreiber ausgeführter Phallus. Das passt zu diesem Abend. Wie auch die Musik, mit der Meinecke seinen Auftritt einleitet, von Bikini Kill, einer Riot-Grrrl-Band. Da können die popaffinen Frauen mit Spängchen im Haar kräftig mit dem Kopf wippen, und das bei einer Poetikvorlesung. Danach wird es möglicherweise ernst, ganz sicher kann man sich da allerdings nicht sein.

„Ich als Text“, so hat Meinecke seine Vorlesung genannt. Und er zieht das kompromisslos und ohne Rücksicht auf Verluste durch. Erste Zuhörer, die womöglich schon dabei waren, als Ingeborg Bachmann 1959 über „Probleme zeitgenössischer Dichtung“ sprach, verlassen den Saal nach etwa zehn Minuten. Meinecke collagiert, arrangiert und vor allem: zitiert. Er zitiert ausschließlich. Rezensionen, Interviews und wissenschaftliche Arbeiten zu seinem Roman „Tomboy“. Die Offenlegung der eigenen Poetik erfolgt in Echtzeit – die Methode ist nicht der Weg, sondern das Ziel. Elmar Krekeler, Helmut Böttiger, Hubert Winkels. Die stehen jetzt auch alle mal in einer Poetikvorlesung. Letzterer hat im Übrigen Meineckes neuen Roman „Lookalikes“ heftig verrissen, auf eine „sehr adenauerzeitliche“ Weise, wie Meinecke findet. Den Verriss will er in der letzten Vorlesung vortragen. Und natürlich kommt Rainald Goetz auch vor. Genauer gesagt kommt Thomas Meinecke bei Rainald Goetz in „Abfall für alle“ vor.

Meinecke liest 90 Minuten, ein „unablässig plappernder Prozess“, allerdings ein komplett choreografierter und mit Leitmotiven strukturierter Prozess. Eine riesige akademische Spielwiese. „Nächste Woche“, verspricht Meinecke, „wird’s ein bisschen weniger heavy.“

CHRISTOPH SCHRÖDER