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Dub-Linke aus Bosnien

Beim Stichwort Balkan denkt man heute an südosteuropäische Volksmusik, Roma-Bläserorchester und orientalischen Pop. Dabei war das sozialistische Jugoslawien in den 1980ern für seine erstklassige Rock-, Punk- und New-Wave Szene bekannt.

Rock war der totale Kontrapunkt zum Nationalismus: urbane, moderne, internationale Musik – im Gegensatz zum lokalen, reaktionären, lokalen Sound der Dörfer. Darauf waren die Rocker stolz. Als die Megaband Bijelo Dugme (Weißer Punkt) in den 1970ern Folkelemente ins Repertoire aufnahm, wurde Bandleader Goran Bregovic vorgeworfen, sich den „Primitiven“ an die Brust zu werfen.

Dementsprechend legten Flüchtlings-Soundsystems wie Balkan Beats in den 1990ern bei Jugo-Partys ganz bewusst Rock auf – und eben nicht Folklore, die Musik der „Dörfler“ und Nationalisten, mit denen das dem Krieg entkommene Publikum nichts zu tun haben wollte. Als der wichtigste Berliner Balkan-DJ Robert Soko später begann, auch Zigeunerlieder aufzulegen, warfen ihm viele alte Fans Verrat an der reinen Lehre vor.

Dubioza Kolektiv, die morgen bei Balkan Beats im Lido spielen, passen zu DJ Soko wie Hammer zu Sichel: Die Band, 2002 von Musikern von Gluho doba Against Def Age (Taubes Zeitalter gegen taubes Zeitalter) aus Zenica und Ornamenti aus Sarajevo gegründet – Letztere begeisterten die Berliner bereits 2011 beim legendären Balkan Black Box Festival –, lag soundmäßig lange zwischen Rage Against the Machine und Seeed. Erst seit Neuestem fügen die sieben Bosnier ihrer Musik einen Schuss Balkan hinzu. Das gefiel Ex-Faith-No-More-Basser Billy Gould so gut, dass er die neueste Dubioza-CD auf seinem Label „Koolarrows Records“ herausbrachte. Dafür, dass der Balkananteil nicht in Pflaumenschnaps, Herzschmerz und Gläserschmeißen endet, sorgen neben rockigen Gitarrenriffs, fetten Bässen und einem satten Drumsound vor allem die hoch politischen Texte. Die Bosnier machen keinen Hehl daraus, dass sie als Linke in einer verarmten Nachkriegsgesellschaft am Rande Europas aufgewachsen sind. Ihre Botschaft heißt: soziale Gerechtigkeit. Ihre Forderung: Integration ihrer europäischen Heimat in die EU.

Wie die Band dieses Thema angeht, kann das hiesige Publikum sogar teilweise verstehen. Dubioza Kolektiv hatten von Anfang an zu viel zu sagen, um nur in ihrer Sprache zu singen. Ihr erster Text war lokalsprachlich, dann folgten drei Alben auf Englisch, dann zwei auf Bosnisch und jetzt eins auf Englisch, auf dem auch Bosnisch gesungen wird. Also: Beim Tanzen die Ohren aufhalten! RÜDIGER ROSSIG

■ Dubioza Kolektiv: Lido, Cuvrystr. 7 Samstag, 22 Uhr. 16 €

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