Familien mit Faustrecht

Die EU will 2006 zum „Jahr der Gewalt gegen Frauen“ machen. Weil häusliche Gewalt überall zu Hause ist, nicht nur in Mietskasernen. Silvia Schuhmann etwa begegnete ihr im Garten ihrer Villa

„Wenn ich dein Gesicht sehe, könnte ich nur noch reinschlagen“, sagt der Täter vor der Tat„Auch wenn er mich nur ignoriert hat, diese Nähe, die tat so gut“, sagt das Opfer nach der Tat

VON JULIANE GRINGER

Vor den Kindern, am Kaffeetisch, sonntags im Garten ihrer Villa, da hat er sie laut als „frigides Miststück“ beschimpft – die Nachbarn konnten es gut hören. Sie sei nutzlos, dumm und überflüssig, hat er ihr hinterhergeschrien. In seinem Job, in den oberen Etagen des Finanzministeriums, drückt er, der ein „Doktor“ vor dem Nachnamen trägt, sich stets gewählt aus. Zu Hause aber hat er seine Frau gedemütigt und betrogen, er hat ihr das Haushaltsgeld gekürzt, im Groll Jogurtbecher an die Wand geworfen, ihr Geschirr zertrümmert. Und er hat sie geschlagen, seine eigene Frau. So kräftig, ihr ganzer Körper sollte später mit violettblauen Flecken bedeckt sein. Und doch legte sie sich, nachdem er sie geschlagen hatte, wieder neben ihn schlafen.

Silvia Schuhmann* ist 42 Jahre alt, hat lange als Bankkauffrau gearbeitet, sie ist selbstständig und selbstbewusst, sie hat drei Kinder mit ihrem Mann. Der ist Akademiker, Doktor. „Er ist ein brillanter Kopf, in seinem Job macht er sehr gute Arbeit“, sagt Silvia Schuhmann. Nach außen hat er die Fassade immer aufrecht erhalten. Zu Hause aber rastete er irgendwann einfach aus. Schuhmann hat erlebt, was jede fünfte Frau in Europa erlebt hat. Studien aus Deutschland und den skandinavischen Ländern sagen sogar, es sei jede Dritte Opfer von häuslicher Gewalt, offiziell registriert sind 54.632 Straftaten gegen, wie es heißt, „die sexuelle Selbstbestimmung“.

„Es ist kein Problem der Frauen, sondern ein Problem von allen“, sagte Josep Borrell, Präsident des Europäischen Parlaments, vor kurzem zum Internationalen Frauentag. Die EU will 2006 zum „Jahr der Gewalt gegen Frauen machen“. Sie will auf die lokalen Ebenen einwirken. Von ganz oben. Mit Daphne II, einem EU-Programm gegen Gewalt an Kindern, Jugendlichen und Frauen, das vergangenes Jahr beschlossen wurde und bis 2008 läuft. 50 Millionen Euro hat der EU-Haushalt dafür vorgesehen. „Es ist ein gutes Programm, das viele Initiativen unterstützt hat und vor allem Erfahrungsaustausch bis auf die lokale Ebene ermöglicht“, meint Lissy Gröner, SPE-Koordinatorin im Frauenausschuss des Europäischen Parlaments. „Aber wir brauchen einen anderen Finanzrahmen. 50 Millionen Euro für fünf Jahre, das sind 10 Millionen pro Jahr, für 30 Länder.“

Gewalt ist ein universelles Konzept, die Auswirkungen aber sind immer lokal, der Schmerz ist lokal. Häusliche Gewalt ist keine private Angelegenheit. Seit Dezember 2001 gilt in Deutschland das Gewaltschutzgesetz. Seitdem dürfen Männer der gemeinsamen Wohnung verwiesen werden, wenn sie gewalttätig geworden sind, auch psychisch. Die Frau, in 80 Prozent der bekannt gewordenen Fälle das Opfer, kann eine Bannmeile erwirken. „Angreifer und Opfer waren nie gleich“, sagt Josep Borrell.

Silvia Schuhmann ist klein und zierlich, sie wirkt schüchtern auf den ersten Blick. Aber früher, da sei sie frech und kess gewesen, erzählt sie. Ihr Mann hat sie geliebt, aber diese Art, die gefiel ihm vielleicht nicht. Er wollte jedenfalls immer jemand anderes aus ihr machen. Er hätte am liebsten brave Kostüme an ihr gesehen und er fuhr ihr gern über den Mund, auch vor anderen.

„Als unser ältester Sohn geboren wurde, da hat sich das beruhigt.“ Eigentlich wollte sie bald wieder arbeiten gehen, aber dann blieb sie zu Hause. Alle drei Kinder waren Wunschkinder. Heute sind die beiden Töchter 8 und 3, der Sohn 5 Jahre alt, und Silvia Schuhmann erzieht sie allein. Die Kinder fragen nicht mehr nach dem Papa.

In Berlin, wo Silvia Schuhmann heute lebt, gibt es ein Netz von Hilfemaßnahmen. Die Hotline BIG (Tel.: 6 11 03 00) vermittelt an Beratungsstellen, Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen. Irgendwann hat auch Silvia Schuhmann dort angerufen. „Man muss sich Hilfe holen, man muss nach außen gehen. Hätte ich vorher gewusst, dass man so viel Unterstützung bekommt, ich hätte es viel früher getan.“

Besonders viele Anrufe bei BIG kommen an Weihnachten, nach den Sommerferien oder wenn ein wichtiges Fußballspiel im Fernsehen läuft. Da sind dann vielleicht die Kinder im Weg, die Frau hat irgendetwas falsch gemacht oder die eigene Mannschaft hat einfach nur verloren. „Von seinem Partner geschlagen zu werden, ist nichts, für das sich eine Frau schämen und es verstecken muss“, sagt Ute Sanner von der Frauenberatung Tara in Berlin. „Sie sollte möglichst schnell Unterstützung suchen, um ihr Leben in Sicherheit aufbauen zu können.“

Sanner hat beobachtet, dass sich die Frauen oft erst nach außen wenden, wenn die Gewalt zu Hause eskaliert ist, die Polizei kommen musste, die Sache ein bisschen öffentlich geworden ist, zum Beispiel vor den Nachbarn.

Vorher halten Scham und Angst die Geprügelten zurück, die wirtschaftliche Abhängigkeit vom verdienenden Mann oder das Gefühl von Hoffnung, es könne doch alles wieder gut werden. „Wir versuchen mit den Frauen ihre eigenen Ressourcen wiederzuentdecken, die Stärken ihrer Persönlichkeit spürbar werden zu lassen, suchen mit ihnen einen Weg zu mehr Selbstbewusstsein, damit sie aus dieser Abhängigkeit herauskommen“, so Sanner.

Auch Silvia Schuhmann hat lange entschuldigt. Nein, sie hat gehofft, dass ihr Mann zur Besinnung kommt. Das Gespräch gesucht, immer wieder. „Ich war ja schon froh, wenn wir nur einmal ruhig nebeneinander auf dem Sofa saßen und Fernsehen geschaut haben, auch wenn er mich nur ignoriert hat, diese Nähe, die tat so gut.“ Er wollte nicht reden.

Angefangen hatte das alles Anfang 2001. Die Familie war kurz zuvor wegen eines neuen Jobs des Familienvaters umgezogen, er kam an einem Abend sehr spät nach Hause. Mit einer Kollegin sei er noch unterwegs gewesen. Silvia Schuhmann findet einen Liebesbrief in seiner Jackentasche, und im Streit sagt er dann plötzlich diesen Satz: „Wenn ich dein Gesicht sehe, könnte ich nur noch reinschlagen.“ Er sagt es nach Jahren „glücklicher, zufriedener“ Ehe, als Jugendliebe hatten sie sich kennen gelernt, sagt Silvia: „Ich hätte nie geahnt, dass er so etwas tun kann.“ Und während die drei gemeinsamen Kinder schlafen, tut er es.

Er schlägt seiner Frau ins Gesicht. „Ich habe mich nicht gewehrt, nicht geweint, ich habe mich totgestellt.“ Seit dieser Nacht war ihr Mann nicht mehr der, der er vorher gewesen war. Er stritt nur noch, schrie und tobte, die beiden waren kein Paar mehr. „Für ihn war ich eine Feindin geworden“, so empfindet es Silvia Schuhmann heute. Auch wenn sich ihre Kommunikation bald nur noch auf Vorwürfe beschränkte: Ihr Mann ging nicht. Er blieb.

Erst drei Jahre später, als Silvia Schuhmann in ihrer Angst endlich die Polizei gerufen hatte, mussten die Beamten ihn aus dem Haus tragen. Er, ein erwachsener Mann, versteckte sich unter dem Tisch, bohrte sich die Finger in die Ohren, als die Polizisten auf ihn einredeten, er solle doch zur Vernunft kommen. Silvia Schuhmann versteht ihn bis heute nicht. Da musste etwas passiert sein. Vielleicht war es das Scheitern einer für ihn wichtigen Beförderung ein paar Jahre zuvor, ein Kollege hatte ihn ausgestochen.

„Die Zusammenarbeit mit der Polizei klappt inzwischen sehr gut“, sagt Ute Sanner. Ein Leitfaden zum Einsatz bei häuslicher Gewalt erleichtert ihnen die Arbeit. Auch die Betroffenen wissen inzwischen in den meisten Fällen vom Gewaltschutzgesetz. Das Gefühl, Rechte zu haben, macht sie zumindest selbstbewusster. Trotzdem, das neue Gesetz reiche häufig noch nicht aus, sagt Sabine Wagenfeld vom Berliner Zuff e.V., der Zufluchtswohnungen mit über 30 Plätzen für Frauen und ihre Kinder bietet. Viele gerichtliche Entscheidungen für Schutzmaßnahmen dauern noch zu lange und das Kindschaftsrecht läuft dem Gewaltschutzgesetz entgegen.

Bei Sorgerechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt kommt es oft vor, dass ein Gutachten über die Erziehungsfähigkeit der Frau angefordert wird. Sie muss sich rechtfertigen, nicht der gewalttätige Mann. Das Jugendamt möchte in erster Linie, dass eine Lösung gemeinsam gefunden wird. „Gemeinsame Gespräche brauchen einen vertraulichen Rahmen“, so Wagenfeld. „Wenn Gewalt im Spiel ist, ist der gebrochen.“

Die Kinder sind immer mitbetroffen. Silvia Schuhmanns ältester Sohn hat alles bewusst miterlebt. „Manchmal hat er sich nur noch auf dem Boden gekrümmt vor Leid und nicht mehr aufgehört zu weinen.“

Heute lebt sie nur ein paar Straßen von der alten Wohnung entfernt mit den Kindern allein. Sie hat ihren Mann nicht angezeigt. Sie muss vom Unterhalt leben. Sie will wieder arbeiten gehen. Sie hat wieder Mut gefasst. Sie sagt: „Ich bin nur froh, dass es endlich vorbei ist.“ Auf eine bestimmte Art sei es auch alles gut, für sie eine Riesenchance, jetzt noch einmal neu anzufangen. „Aber es kommt mir vor, als wäre ein Familienangehöriger einfach gestorben.“

* Name der Redaktion bekannt