NRW riskiert steigende Armut

Die Armen in Nordrhein-Westfalen werden mehr. Besonders betroffen sind Kinder, MigrantInnen, sowie Großfamilien und Alleinerziehende

VON NATALIE WIESMANN

Obwohl hierzulande niemand verhungern muss, steigt in Deutschland sowie in Nordrhein-Westfalen das Armutsrisiko. Arm sein ist in NRW relativ: Von Armut betroffen ist, wer weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Netto-Einkommens zur Verfügung hat (siehe Kasten). Weil die Armutsgrenzen und Personengewichte zur Bestimmung des Pro-Kopf-Einkommens unterschiedlich gehandhabt werden können, will das NRW-Sozialministerium in seinem Armuts- und Reichtumsbericht 2004 nicht von Armut, sondern von einem Armutsrisiko sprechen. Armut ließe sich außerdem nicht auf materielle Mittellosigkeit beschränken, so die Regierung, sondern bedeute vor allem mangelnden Zugang zu Bildung Kultur und Gesundheit.

In den vergangenen Jahren ist der Anteil der armutsgefährdeten Bevölkerung angestiegen. Das durchschnittliche Nettoeinkommen lag 2003 bei etwa 1.200 Euro. Jeder, der weniger als 600 Euro monatlich zur Verfügung hat, gilt demnach als gefährdet. Im Jahre 2003 traf dies auf 14,8 Prozent der NRW-Bevölkerung zu, 1996 lag die Quote bei etwa gleichem Durchschnittseinkommen noch bei 12,5 Prozent.

Das Armutsrisiko ist innerhalb der NRW-Bevölkerung unterschiedlich verteilt: Die wirtschaftliche Not von Familien ist besonders hoch und steigt mit jedem Kind weiter an. Besonders betroffen sind allein Erziehende. Die Armutsquote von Personen in Haushalten kinderreicher Familien und allein Erziehender liegen mit 44 und 42 Prozent weit über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Bei allein Erziehenden mit mindestens 3 minderjährigen Kindern steigt der Anteil derer, die über weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens verfügen, sogar auf 68 Prozent an.

Die Armut in Familienhaushalten rückt immer mehr in die politische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit, denn Einkommensarmut von Familien bedeutet vor allem schlechte Startbedingungen für die betroffenen Kinder. Passiert sei bisher aber nichts, kritisiert Ulrich Thien von der Caritas Münster die Politik. „Dabei zeichnete sich schon beim letzten Armutsbericht ab, dass Familien zunehmend verarmen“. Im Gegenteil, sagt Thien, hätten Hartz IV und der Gesundheitsreform die Familien weiter in die Armut getrieben. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef wächst die Armut von Kindern in Deutschland stärker als in den meisten anderen Industrieländern.

Die Erziehung von Kindern bedeutet einen hohen finanziellen Aufwand, zugleich werden die Möglichkeiten einer Arbeit nachzugehen, insbesondere aufgrund fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten, für zumindest einen Elternteil eingeschränkt. Von dieser Problematik sind kinderreiche Familien sowie allein Erziehende besonders stark betroffen und deshalb besonders armutsgefährdet.

Bei MigrantInnen liegt das Risiko, arm zu sein mehr als dreimal so hoch wie bei der deutschen Bevölkerung (siehe Interview). Besonders von Armut bedroht sind auch Arbeitslose, 40 Prozent von ihnen leben unterhalb der Armutsgrenze. Ein geschlechtsspezifisches Risiko entsteht erst in Kombination mit weiteren Risikofaktoren wie Scheidung oder alleiniger Erziehungsverantwortung.

Älteren Menschen geht es in NRW relativ gut. Personen im Alter von 65 und mehr Jahren sind mit etwa acht Prozent unterdurchschnittlich häufig von Einkommensarmut betroffen. Das wiederum ist bei älteren MigrantInnen anders: Sie sind neben den Jugendlichen am meisten von Armut bedroht.

Des einen Leid ist des anderen Freud: Die zwanzig Prozent der Haushalte in Nordrhein-Westfalen mit den höchsten Vermögen besitzen insgesamt zwei Drittel der gesamten Privatvermögens im Land. Das übrige Drittel teilen sich 80 Prozent aller Haushalte in NRW.