theater
: Zwischen Bestie und Kavalier

Die Geschichte der Elsa Tabori ist so unglaublich, dass sie einfach stimmen muss. Im Sommer 1944, als tausende ungarischer Juden nach Auschwitz deportiert werden, wird auch die Mutter des späteren Bühnenautors George Tabori („Mein Kampf“) in Budapest verhaftet. Zwei Hilfspolizisten drängen sie in eine überfüllte Straßenbahn, passen aber selbst nicht mehr rein. Sie befehlen ihrer Gefangenen, an der nächsten Station zu warten. Diese, ganz Dame, tut's. Man bringt sie zum Bahnhof, quetscht sie in den Viehwaggon Richtung Konzentrationslager.

In einem Zwischenlager dann der Akt übermenschlichen Mutes: Mutter Tabori überzeugt einen deutschen Offizier davon, dass ihre Verhaftung ein Irrtum sei. Erster Klasse fährt sie nach Budapest zurück, ihr gegenüber der SS-Offizier. Ein wohlerzogener Mann, der soeben 4.000 Menschen in den Tod geschickt hat.

„Mutters Courage“ nannte George Tabori seine Theaterversion der wahren Geschichte, die auch als Film großen Erfolg hatte. In der Kölner Schlosserei inszeniert Torsten Fischer den Stoff und feiert damit zugleich 15 Jahre Regiearbeit an den Bühnen der Stadt.

Um es vorweg zu nehmen: Fischer ist ein großer Theaterabend gelungen. Diese Aufführung ist dicht und schlicht, kommt ohne jedes Brimborium aus und ist doch spannend bis zur letzten Sekunde. Mit großer Behutsamkeit verwandelt Fischer das Zwei-Personen-Stück, in dem Mutter und Sohn sich in der Rückschau über die wundersame Befreiung unterhalten, in einen packenden Pas de deux aus Worten und Gefühlen.

Exzellent die Leistung der beiden Schauspieler: Tonio Arango ist der Sohn, der – mal zur Mutter, mal zum Publikum gewandt – die Story erzählt, und zwar in typischer Tabori-Sprache: funkelnd vor Schwärze, grausam in ihrem Galgenhumor und doch immer im fatalistischen Plauderton vor sich hin plätschernd. Arango ist Conférencier und Gaukler zugleich, lässt in seine Intonation genau die richtige Menge Pathos einfließen, brilliert auch als lächerlicher Hilfspolizist und SS-Scherge zwischen Bestie und Kavalier.

Susanne Barth ist immer authentisch als Elsa Tabori. Eine zurückhaltende Frau, der es peinlich ist, dass ihr Sohn alten Staub aufwirbelt, angedeutet im Bühnenbelag aus weißem Konfetti. Die sich schuldig fühlt, weil sie überlebte und die über ihren SS-Retter sagt: „Ich hasse ihn dafür, dass ich ihn lieben muss, was ich ja tue.“

Dieses Stück und seine hervorragende Inszenierung zeigen, wie es ist, wenn die Hölle gleich nebenan ist. Und welche absurden Situationen entstehen, wenn Zivilisation und Barbarei ungefiltert aufeinander treffen, oft genug in ein und demselben Menschen. Lange hat man an den Bühnen Köln keine Inszenierung mehr gesehen, die so intensiv und spannend ist. Und dabei ist sie eigentlich nur ein Zwiegespräch. HOLGER MÖHLMANN

„Mutters Courage“, Schlosserei, Köln, Krebsgasse, Tel. 221-28 400, Heute, 20 Uhr, weitere Termine im Juni