Kopf aus dem Sand

Jovan Nikolic ist Rom. Der in Köln lebende Dichter will den Angehörigen seines Volkes mit seinen Arbeiten ein Vorbild sein, ihnen Mut machen

Von JÜRGEN SCHÖN

Sie haben zwar eine Sprache, aber erst seit wenigen Jahrzehnten wird Romanes, die Sprache der Roma, wissenschaftlich erforscht und erstmals in der langen Geschichte schriftlich festgehalten. So soll dieser weltweit lebenden, fast ständig verfolgten Volksgruppe eine Identität gegeben werden. Wichtig dabei sind auch Schriftsteller. Einer von ihnen ist Jovan Nikolic, der seit gut fünf Jahren in Köln lebt.

1999 flüchtete der regimekritische Journalist und Satiriker vor politischer Verfolgung und den Bomben der Nato aus Jugoslawien nach Deutschland. Da hatte der studierte Maschinenbauingenieur schon zahlreiche Gedichtbände veröffentlicht. Auch der Text zum musikalischen Leitmotiv von Emir Kusturicas Film „Schwarze Katze, weißer Kater“ stammt von ihm. Er schreibt auf Serbokroatisch, denn „ich kann nicht genug Romanes, um meine Gefühle in dieser Sprache auszudrücken“. Doch nicht nur deshalb möchte der 49-Jährige zunächst nicht als Roma-Dichter bezeichnet werden: „Poesie gehört keiner Nation an, gute Poesie wird überall auf der Welt verstanden.“

Aber dann hat er doch nichts gegen die Bezeichnung „Roma-Dichter“. Denn in seinen Gedichten und seiner Kurzprosa greift er Erfahrungen der Roma auf, erzählt von Träumen, magischen Ereignissen, von Schwermut, Unterdrückung und Heimatlosigkeit. „Ich wusste lange nicht von meiner Roma-Herkunft“, sagt er. Erst als er mit 27 Jahren auf einem Roma-Festival „Zigeunermusik“ hörte, da musste er weinen und und erkannte, „welches Blut stärker ist“. Als Kind war er als „Zigeuner“ beschimpft worden, ohne zu wissen, was Zigeuner sind. Als seine Familie später in eine Roma-Siedlung zog, wurde sie dort wegen der serbischen Mutter als Gadze, als Nicht-Zigeuner, ausgegrenzt.

Anderen Roma will Jovan Nikolic heute gleich auf doppelte Weise Vorbild sein. Zum einen als Dichter. In regelmäßigen Workshops arbeitet er mit Nachwuchsschriftstellern zusammen. Dort sucht er auch neue Wege für eine Roma-Literatur. „Bislang herrscht die kurze Form vor, es gibt viel naiven Naturalismus“, stellt er fest. „Was fehlt, sind Epen.“

Seine zweite Rolle als Vorbild ist die desjenigen, der es geschafft hat. „Ich kann Jugendlichen zeigen, dass es nicht allein am Roma-Sein liegt, wenn sie in der Scheiße stecken“, beschreibt er seine Aufgabe und schiebt eine Beobachtung nach. „Viele Roma leben in einem Anachronismus, sie kommen mir vor wie Menschen, die hinter einem Schiff her schwimmen und den Müll essen, der ins Meer geschmissen wird.“ Ob sie da nicht versuchen sollten, auf das Schiff zu kommen, sich den Anforderungen einer modernen Gesellschaft zu stellen? Da muss der Schriftsteller lachen: „Und wenn es Titanic heißt?“

Er weist aber darauf hin, dass es etwa den „illegalen“ Roma-Flüchtlingen in Köln unmöglich gemacht wird, sich in dieser Gesellschaft zu behaupten. „Wer dauernd in der Angst vor Abschiebung leben muss, wer in ein Ghetto gedrängt wird, dessen Leben ist in permanenter Unordnung. Der hängt in der Luft.“ Der lebe nur noch in einem Warteraum, könne sich keine Gedanken über Schule oder ein „normales“ Leben machen.

Jovan Nikolic hofft, dass er den Deutschen diese Schwierigkeiten bewusst machen kann. „Seit meinem Coming-Out als Rom hört man mir anders zu“, hat er erfahren. „Doch die Kölner stecken da wohl noch den Kopf in den Sand“, sagt er und freut sich über dieses Bild, das er frisch gelernt hat. Er öffnet ein dickes Notizbuch, vollgeschrieben mit deutschen Wörtern und Redewendungen: „Jeden Tag lerne ich etwas dazu“, sagt er. Vielleicht schreibt er ja bald auf Deutsch. Und auf Romanes.

Am morgigen 14. April um 20 Uhr stellt Jovan Nikolic sein neues Buch „Zimmer mit Rad“ in der Zentralbibliothek am Josef-Haubrich-Platz vor