american pie
: Beifall aus dem Reich des Bösen

Vor den Augen ihrer Erzfeinde von den New York Yankees bekommen die Boston Red Sox ihre Ringe für den Gewinn der Baseball-Meisterschaft

Als die Red Sox im letzten Oktober nach 86-jähriger Flaute endlich wieder die World Series und damit den Titel in der Major League Baseball (MLB) gewonnen hatten, schlug die Stadt Boston Purzelbäume vor Vergnügen und die Bevölkerung erging sich in überschäumenden Feierlichkeiten, bei deren Anblick jeder brave Pilgervater auf der Stelle kehrtgemacht hätte und zurück ins beschauliche Plymouth gesegelt wäre. Der Super-Bowl-Gewinn der New England Patriots im Januar erhöhte den Freudenpegel der Sportfans in der Hauptstadt von Massachussetts noch ein gehöriges Stück, doch einer der süßesten Momente in der Sportgeschichte der Stadt kam am Montag. Da erhielten die Spieler der Red Sox vor dem ersten Heimspiel der Saison im Fenway Park ihre Meisterschaftsringe, und die Akteure des Gegners standen neidvoll daneben und mussten hübsch Beifall klatschen. Passenderweise handelte es sich ausgerechnet um den Erzfeind, das „Evil Empire“, die New York Yankees, die in der Halbfinalserie gegen Boston schon 3:0 geführt und dann doch noch sensationell verloren hatten, so dass nicht sie, sondern die Red Sox in der World Series auf die St. Louis Cardinals trafen. Und als wäre die feierliche Ringverleihung, die eine geschlagene Stunde dauerte, noch nicht genug der Demütigung, fertigten die Gastgeber die Yankees anschließend championsmäßig mit 8:1 ab.

Schon Stunden vor Spielbeginn waren die Ränge des Fenway Park dicht besetzt und die trotz eklig niedriger Temperaturen bestens gelaunten 33.702 Zuschauer bejubelten alles, was auf dem Platz erschien und nicht schnell genug wieder verschwand: Bostons Sportgrößen aus Vergangenheit und Gegenwart, darunter Eishockeycrack Bobby Orr und Basketball-Legende Bill Russell, die World-Series-Trophäe, die sich ansonsten auf einer Tournee durch alle 351 Ortschaften in Massachussetts befindet, das Bostoner Symphonie-Orchester, das die beliebtesten Red-Sox-Melodien spielte, und, mit besonders warmem Applaus, New Yorks Closer Mariano Rivera. Der sonst so gefürchtete Pitcher hatte es im vierten Spiel ganz gegen seine Gewohnheit nicht geschafft, die Führung der Yankees über die Runden zu bringen, und damit die Aufholjagd der Sox ermöglicht.

New Yorks Spieler versuchten tapfer, Haltung zu bewahren. „Du hast Respekt für das, was sie geschafft haben“, sagte Shortstop Derek Jeter, „denn du weißt, wie schwer das ist.“ Und Manager Joe Torre, nach dem Debakel überraschenderweise immer noch im Amt, erklärte: „Man ist ein bisschen eifersüchtig, aber sie haben die Meisterschaft gewonnen, das kann man nicht ignorieren.“

Wohl aber verhindern, dass es ein weiteres Mal passiert, und zur Erreichung dieses Ziels kennt Yankees-Boss George Steinbrenner nur ein Mittel: noch mehr Geld ausgeben. Da die Schwachstelle des Teams gegen Boston eindeutig die Werfer waren, griff Steinbrenner tief in die Tasche, um Carl Pavano aus Florida und Randy Johnson aus Arizona nach New York zu holen. Johnson ist zwar schon 41, aber nach wie vor einer der besten Pitcher der Liga, wenn nicht der beste. 48 Millionen Dollar zahlen ihm die Yankees für die nächsten drei Jahre. Im ersten Match bei den Red Sox schlug sich die Akquise der „Big Unit“, wie Johnson wegen seiner Größe von 2,07 m genannt wird, jedoch nicht nieder. Pitcher war Mike Mussina, der sieben Runs in fünf Innings zuließ, während sein Bostoner Pendant Tim Wakefield den Yankees in sieben Innings nur einen einzigen Punkt gestattete.

Eine Woche zuvor hatte die Sache noch anders ausgesehen. Da spielten die Red Sox zum Saisonauftakt im Yankees Stadium und waren erst chancenlos gegen Johnson, dann gegen Pavano, den sie, alte Geschichte, ebenfalls umworben, aber nicht bekommen hatten. Erst im dritten Match siegten sie mit 7:3. Die bisherigen vier Duelle der Erzrivalen verliefen ruhig und gesittet. Das wird im weiteren Saisonverlauf nicht immer so sein, vor allem, wenn beide Teams im Herbst, wie von vielen erwartet, wieder den Teilnehmer der World Series ermitteln.

MATTI LIESKE