Stechen hilft besser als Schlucken

Wissenschaftler in Nordrhein-Westfalen untersuchen altchinesische Heilkunst: Akupunktur hat ihren Test bestanden. Die Nadeln im Körper wirken besser als Pillen. Zukünftige Mediziner und Psychologen lernen die Kunst jetzt schon an der Uni

von HOLGER ELFES

Die traditionelle chinesische Medizin (TCM) übt eine magische Ausstrahlung auf den westlichen Menschen aus. Ihr werden wundersame Heilkräfte nachgesagt. In NRW beschäftigen sich immer mehr Forscher an den Hochschulen mit dieser Thematik. Besonders populär ist dabei die hierzulande am weitesten verbreitete TCM-Therapieform, die Akupunktur.

Gerade in letzter Zeit ist diese Art der Behandlung sehr gefragt, auch wenn sich die Krankenkassen bislang weigern, die Kosten zu übernehmen. Mediziner der Ruhr-Uni-Bochum wurden daher vom Bundesausschuss der Krankenkassen damit beauftragt, die Wirksamkeit der Behandlung innerhalb einer Studie zu belegen.

Die Bochumer Initiative „German Acupuncture Trials“ (gerac) legte kürzlich erste Ergebnisse der weltweit größten Untersuchung zu Kniegelenks- und Kreuzschmerzen vor. Bald sollen Resultate der Kopfschmerz- und Migräneuntersuchungen folgen. 7,5 Millionen Euro haben die Krankenkassen in die Mega-Studie investiert. 600 Arztpraxen waren beteiligt.

Die in drei Gruppen aufgeteilten Probanden wurden nach traditioneller chinesischer Lehre mit Nadeln behandelt, mit willkürlich gesetzten Nadeln oder schließlich mit gewöhnlichen Medikamenten. Nach sechs Monaten befragten die Forscher alle drei nach dem Zufallsprinzip zusammengestellten Gruppen über ihre Erfahrungen.

Mehr als 2.000 Schmerzpatienten hatten bis dahin teilgenommen. „Wir hatten großes Vertrauen in die chinesische Heilkunde und rechneten mit 20 bis 30 Prozent Verbesserung gegenüber Normalmedikamenten“, sagt Hans-Joachim Trampisch einer der Studienleiter von der medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität, „um so größer war die Enttäuschung über die ersten Ergebnisse.“

Die gerac-Studie hat gezeigt, dass Akupunktur-Nadeln gegenüber Pillen zwar einen Vorsprung aufweisen, dabei spielt es aber keine Rolle, ob sie nach chinesischer Methode oder beliebig in den Körper eingesetzt werden. „Das heißt aber nicht, dass wir jetzt alle loslaufen, Nadeln kaufen und sie uns irgendwo reinstecken sollten. Das würde wohl kaum etwas bringen“, warnt Trampisch. Es gibt bisher keine endgültige Antwort darauf, warum das „Stechen“ funktioniert. Vielleicht sind es die Endorphine, die dabei ausgeschüttet werden, oder das Akupunktur-Ritual an sich, das Erfolge bringt. Eine halbe Stunde in entspannter Atmosphäre mit richtiger Betreuung wirkt mehr als eine hastig geschluckte Pille oder eine zweiminütige Beratung beim Hausarzt. „Der klassischen westlichen Medizin fehlt es an Kommunikation“, lautet Trampischs klare Kritik.

Die Krankenkassen werden noch bis zum Sommer die Entscheidung darüber fällen, ob sie die Kosten für Akupunktur tragen werden. Nach Meinung des Bochumer Professors wäre es ein Fehler, Akupunktur kategorisch abzulehnen.

So sehen das auch viele andere Hochschulen. An der Privatuni Witten/Herdecke gibt es ein breit gefächertes Angebot an Weiterbildungsseminaren in TCM. Akupunktur, Arzneimittelverordnungen, Diätetik, die Bewegungstherapie Qi Gong und die klassischen Tuina-Massagetechniken stehen auf dem Lehrplan. „Neu sind jetzt die zusätzlichen Ausbildungsstränge zum Thema chinesische Ernährungstherapie und Tuina“, sagt Fachbereichsleiter Stefan Kirchhoff, „damit hat sich das Volumen an Angeboten innerhalb eines Jahres verdoppelt.“ Nun habe man das komplette Spektrum der wichtigsten chinesischen Therapieformen in das Ausbildungsprogramm integriert. Die Fortbildungen richten sich an Ärzte und Medizinstudenten, aber auch an Physiotherapeuten, Psychologen und Pflegewissenschaftler, die allein oder gemeinsam in einem Netzwerk mit anderen Therapeuten der Chinesischen Medizin integrativ arbeiten wollen.

Schon im Medizinstudium kann man in Münster etwas über TCM lernen. Im letzten Wintersemester konnten Studierende aus dem klinischen Studienabschnitt dort erstmals eine Lehrveranstaltung zu den traditionellen chinesischen Heilmethoden besuchen, für die ein benoteter Schein vergeben wurde. Die neue ärztliche Approbationsordnung mache dies möglich, heißt es in Münster, denn darin sei festgeschrieben, dass die allgemeinmedizinische Ausbildung der Studierenden verbessert werden soll. In dem wöchentlich stattfindenden Seminar wurden nicht nur theoretische Kenntnisse vermittelt, sondern auch der praktische Umgang mit den Nadeln geübt. „Außer uns bietet bislang nur die Universität Bonn Wahlpflichtfachseminare in Akupunktur an“, betont Elmar Peuker, der den Lehrauftrag für Akupunktur innehat.

Selbst Zahnärzte nutzen heute Akupunktur-Techniken, um ohne Betäubungsspritze zu bohren. Eleonore Sach vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Uni Köln hat sich jetzt mit dem Weg der Akupunktur in die deutsche Zahnmedizin beschäftigt. Die fand vergleichsweise spät Eingang in die Zahnarztpraxen – erst in den 50er Jahren. Und das, obwohl Akupunktur schon viel länger in Europa bekannt war. „Die Frau eines Geistlichen beschreibt Ende des 17. Jahrhunderts die Gicht-Beschwerden ihres Ehemannes in einem medizinischen Sammelband“, so Sach. Und auch, wie die Kunst des Heilstechens seine Schmerzen gelindert habe. Damals allerdings, so das Fazit, war die Zeit noch nicht reif für die Integration der TCM in die komplett unterschiedliche medizinische Tradition des Westens.