Für kleine Kinder nur große Worte

Wenige Wochen vor der Wahl verkündet die Landesregierung eine 50-Millionen-Euro-Initiative, um die Kinderbetreuung zu fördern. Doch die Kommunen, die das Projekt leiten sollen, wissen von nichts

VON ULLA JASPER

An fehlender Kinderbetreuung soll die Wiederwahl der rot-grünen Landesregierung nicht scheitern: Insgesamt 50 Millionen Euro sollen noch in diesem und im nächsten Jahr zusätzlich für die Betreuung von Kleinkindern bis zum Alter von drei Jahren zur Verfügung gestellt werden. Doch die am Dienstag vorgestellte Initiative stößt bei den Kommunen, die für die Versorgung der unter Dreijährigen zuständig sind, vor allem auf Verwunderung.

„Wir haben von den Plänen der Landesregierung nur aus der Zeitung erfahren“, erklärt Claudia Stegmann vom Dortmunder Jugendamt. Zudem sei die Ankündigung „sehr diffus“, man müsse jetzt erstmal abwarten, was sich Jugendministerin Ute Schäfer und Arbeitsminister Harald Schartau (beide SPD) genau von der Initiative versprechen. Ähnlich verwundert äußerten sich auch die Leiter der Jugendämter in Essen und Gelsenkirchen.

Schäfer und Schartau hatten bei der Vorstellung der gemeinsamen Initiative angekündigt, dass in den nächsten beiden Jahren jeweils 25 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds zur Verfügung gestellt werden sollen, um 7.000 zusätzliche Betreuungsplätze für Kinder arbeitssuchender Eltern einzurichten. Zudem sollen 5.000 Kindergartenplätze in Plätze für Kinder unter drei Jahren umgewandelt werden.

Arbeitsminister Harald Schartau erhofft sich dadurch vor allem positive Impulse für den Arbeitsmarkt: „Vor allem unter den ehemaligen Sozialhilfeempfängern sind viele allein erziehende Frauen. Wenn wir diese verstärkt vermitteln wollen, brauchen wir ab sofort zusätzliche Plätze für die Betreuung von Kleinkindern.“ Oft seien es die fehlenden Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, die Eltern und Alleinerziehende daran hinderten zu arbeiten, so der Minister. Deshalb sei es wichtig, dass die Betreuungsplätze flexibel auf die Bedürfnisse der Arbeitssuchenden zugeschnitten würden. Belebt werde der Arbeitsmarkt zudem, weil die Initiative neue Jobs für rund 1.000 Erzieherinnen und Erzieher schaffen soll.

Ob das Programm jedoch wirklich die versprochenen Erfolge zeigen wird, erscheint zweifelhaft. Das Sofortprogramm, das „federführend“ von den städtischen Jugendämtern umgesetzt werden soll, ist ko-finanziert: 50 Prozent der Kosten werden mit den Mitteln des europäischen Sozialfonds gedeckt, für die andere Hälfte müssen Kommunen, Eltern und Träger der Einrichtungen aufkommen. Kaum zu schaffen für die Ruhrgebietskommunen, die seit Jahren mit leeren Kassen zu kämpfen haben. „Wir haben für zusätzliche Projekte zurzeit überhaupt kein Geld“, sagt der Gelsenkirchener Jugendamtschef Wissmann.

Dass ein hoher Bedarf an Betreuungsmöglichkeiten für unter Dreijährige besteht, ist in den Kommunen jedoch unstrittig. Claudia Stegmann vom Jugendamt in Dortmund rechnet für ihre Stadt mit einem Bedarf von 15 bis 20 Prozent, in Essen erwartet man sogar mehr als 20 Prozent. Doch davon ist man zurzeit noch weit entfernt. In Dortmund steht bislang nur für rund 2 Prozent der Kinder unter drei Jahren ein Platz zur Verfügung.

Aber nicht allein die Kommunen bewerten die Initiative der Landesregierung skeptisch. Die Gewerkschaft Verdi bezeichnet das Sofortprogramm, das wenige Wochen vor der Landtagswahl starten soll, als „Billiglösung“: Letztlich würde es daraus hinauslaufen, in den Tageseinrichtungen die Gruppen zu vergrößern und die Kinder nur noch zu verwahren, statt sie zu fördern, so Martina Peil vom Landesbezirk NRW. Die Idee von Arbeitsminister Schartau, arbeitslose ErzieherInnen zu fördern, die Ich-Ags zur Kinderbetreuung gründen sollen, bezeichnet die Gewerkschaft als „abwegig“. Damit versuche die Landesregierung nur, den Bedarf mit weniger Fachpersonal und möglichst geringeren Kosten außerhalb der Gesetzgebung zu decken.