Müntefering zwischen Marx und Macht

Der SPD-Partei- und Fraktionschef durfte am Mittwoch der „Macht des Kapitals“ populistisch den Kampf ansagen. Bei der Wahl des Wehrbeauftragten heute im Bundestag geht es um Franz Münteferings eigene Macht – und um die seiner Regierung

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Die Politik ist ein großer Gleichmacher geworden. Egal welcher Politiker was wann auch immer sagt – alles steht unter dem Verdacht der Parteitaktik oder des Wahlkampfes. So durfte sich Franz Müntefering bei seiner Rede auf dem 3. Programmforum der SPD gestern zwar über ein großes Publikum freuen. Das lag aber nicht etwa daran, dass inzwischen ein reges Interesse an der Ausarbeitung des neuen sozialdemokratischen Grundsatzprogrammes ausgebrochen wäre. Die meisten interessierten sich für Münteferings Auftritt wohl nur, weil sie hofften, etwas „Neues“ zu erfahren: zum Beispiel, mit welchem Großthema der Vorsitzende der SPD bis zur NRW-Landtagswahl am 22. Mai noch punkten will.

Müntefering hielt natürlich keine programmatische Rede über „Demokratie“ – so das Titel des Programmforums. Er wendete das Thema politisch, erinnerte an die Geschichte der Demokratie in Deutschland und attestierte für die Gegenwart „Besserungsbedarf“. Kritisch erwähnte er das „Desinteresse an Wahlen“, „Politikverdrossenheit“ sowie die „Diffamierung von Parteien“.

In seinen zentralen Passagen verteidigte Müntefering den Staat. „Die Staatsskepsis ist ein Irrweg“, sagte er. „Die Staatsverachtung eine Gefahr.“ Der Staat könne nicht alles alleine regeln, manches auch gar nicht. Aber er sei „mehr als nur ein Reparaturbetrieb“, er habe Aufgaben, die er für die Gesellschaft erledige. Zu diesem sozialdemokratischen Staatsverständnis zählt in der Theorie immer noch die gute alte Kritik am Kapital. Mit den Worten des SPD-Vorsitzenden von heute hört sich das so an: „Die international forcierten Profit-Maximierungs-Strategien gefährden auf Dauer unsere Demokratie.“ Und: „Unsere Kritik gilt der international wachsenden Macht des Kapitals und der totalen Ökonomisierung eines kurzatmigen Profit-Handelns.“

Dass zur Demokratie der Schutz von Minderheiten gehört, sagte Müntefering auch. In der Bundestagsfraktion einer Regierungspartei gilt das natürlich nur eingeschränkt. Da wirkt der Zwang zur Uniformität. Wieder einmal zu beobachten ist das am heutigen Donnerstag. Die Wahl zum Wehrbeauftragten des Bundestages steht an. Der SPD-Mann Reinhard Robbe soll es werden.

Müntefering hat diese Entscheidung recht einsam getroffen. Seit Wochen grummelt es deswegen in seiner Fraktion. Nach einer schwachen Vorstellungsrede erhielt Robbe in der eigenen Fraktion erst im zweiten Wahlgang eine hauchdünne Mehrheit. Fraktionschef Müntefering hielt trotzdem an ihm fest. Er wollte keinen Plan B. Jetzt ist es natürlich eine Machtfrage: Kann Müntefering sich nicht durchsetzen, ist seine Autorität als unumschränkter Herrscher der SPD angegriffen.

Die Wahl ist geheim. Es gibt nur einen Wahlgang. Erforderlich ist die Kanzlermehrheit, also die Mehrheit aller gewählten Bundestagsabgeordneten. SPD und Grüne brauchen für ihren Kandidaten Robbe 301 Stimmen, 304 Abgeordnete haben sie. Pochen auch nur vier „Abweichler“ auf ihr Minderheitenrecht, droht der Koalition ein Simonis-Debakel II. Alles nur Theorie?