NANA HECK ALLEINLAGE
: Hundert Hanseln im Rausch

Einmal im Jahr muss gefeiert werden. Und das geht, anders als bei Bonos U2-Angeberkonzert, auf dem Land ganz improvisiert. Vom Segen des sozialen Netzwerkens in entvölkerten Regionen

Erst spät gehen die Gäste, zu Hause wartet schon das Vieh

Kinder haben ihre eigenen Vorstellungen von Idylle. Trotz des großen Auslaufs und der mit unserer Wohnsituation in der Einöde verbundenen Möglichkeiten wie Mopedfahren auf dem Acker oder einem eigenen Pferd wird das Leben auf dem Land seitens der jüngeren Generation oft langweilig gefunden. Ihre Freunde wohnen immer woanders und selten in Fahrradreichweite, deren Partys sind nur mit Absprachen erreichbar, und das Ende aller Vergnügungen hängt immer vom elterlichen Abholservice ab. Insgesamt ist dieses Leben also eher trostlos und benachteiligt unsere Kinder gegenüber jenen Freunden, die in der Stadt wohnen.

Diesem Eindruck muss von Zeit zu Zeit entgegengewirkt werden. Und deshalb feiern wir jedes Jahr ein Hoffest, zu dem wir alle einladen, die wir kennen und mögen.

Neben einigen tatsächlichen Nachteilen im sozialen Bereich bietet ein Bauernhof in Alleinlage ja die optimale Partykulisse. Open Air ist reichlich vorhanden, und das eine oder andere landwirtschaftliche Gebäude lässt sich leicht zur Dorfdisco umwidmen. Selbst laute Musik überbrückt selten die Entfernungen zur Zivilisation, der nächste Nachbar (dreihundert Meter) und der übernächste (ein Kilometer) sind sowieso eingeladen. Überdies werden Wiesen zu Zeltplätzen und Nährstoffkreisläufe über geruchsarme Komposttoiletten geschlossen. Essen zu kochen für solche Besuchermassen ist natürlich mit Arbeit verbunden, aber die Zutaten dafür kommen teilweise eh aus eigenem Bioanbau.

Durch eine Reihe glücklicher Zufälle konnten wir in diesem Jahr eine wunderbare Band auf unseren Hof einladen, um mit dieser und einer Hundertschaft Freunden mal so richtig abzufeiern. Die Sause ging dann bis in den Morgen.

Am selben Abend fand indes noch ein weiteres Konzert von Weltrang statt. Im Berliner Olympiastadion sahen 90.000 meist um dreistellige Beträge erleichterte Fans U2 mit ihrer 360-Grad-Tour auf der größten Konzertbühne der Welt. Dem Weltverbesserer, Umweltaktivisten, Armuts- und Hungerbekämpfer Bono scheinen die vielen Guinness doch geschadet zu haben. Bei durchschnittlich hundert Euro Eintrittsgeld werden wohl neun Millionen Euro zusammengekommen sein. Was dieser Unfug schließlich kostet, damit ließe sich ein gutes Stück Welt verbessern. Bono, auch auf die Gefahr hin, dass du nicht die taz liest: Gigantism is not the key.

Zeitgleich bekamen wir hundert Hanseln auf dem Dorf wirklich gut zusammengespielte Musik. Die angereisten Landwirte, Freunde, deren zahllose Kinder und Hunde tanzten, dass es eine Freude war (ja, auch die Hunde). Das Ganze ging im Maschinenschuppen mit Holzkistenstativen für die Boxen und auf schnell getapten Kabelbrücken über die Bühne. Unsere Musik-Nomaden waren zwischen Auftritten in Birma, Hawaii und Paris zu uns gekommen und begeisterten stundenlang uns bodenständige Agrarier.

Anders als in der Hauptstadt ging es hier aber nicht nur um Eventkonsum zum ungünstigen Preis, sondern es wurde miteinander geredet, getanzt, gegessen und getrunken, und das schließt die großartigen Bandmitglieder mit ein. Froh gestimmt und leicht schwankend strebten unsere Gäste irgendwann ihren geländegängigen Kombis zu, zu Hause wartete schon das Vieh. Und die Musikanten schliefen, in Decken eingerollt, am Feuer, das fanden sie irgendwie cooler als unsere Gästebetten.

■ Die Autorin ist Biobäuerin in Mecklenburg Foto: privat