Der abgesägte Stamm des Boxens

Beim traditionsreichen Chemiepokal in Halle gibt es zwar hochklassiges Amateurboxen zu sehen, doch die großen Zeiten der Vergangenheit sind vorbei und die Kooperation mit den schlagstarken Kollegen aus dem Profilager ist vorerst gescheitert

VON MARKUS VÖLKER

Profis haben in diesem Jahr keinen Zugang zum Chemiepokal in Halle, Deutschlands traditionsreichstem Boxturnier der Amateure. „Außer den Bewegungsabläufen im Ring gibt es ja auch keine Gemeinsamkeiten zwischen Profis und Amateuren“, postuliert Jürgen Behlert. Er ist Mitorganisator des Turniers und Präsident des Boxverbandes von Sachsen-Anhalt. Gegen eine Annäherung hat er grundsätzlich nichts, doch die Kooperation der Amateure mit dem Profistall von Universum-Promotion sieht Behlert (62) sehr skeptisch. Vor zwei Jahren schloss der Deutsche Boxverband (DBV), der die Kennzeichnung „Amateur“ zu diesem Zeitpunkt bereits aus seinem Namen getilgt hatte, eine Kooperation mit den Hamburgern. Die Verbandsoberen waren euphorisch, glaubten dadurch einen Aufschwung des olympischen Boxens zu erreichen. Die Hoffnung ist mittlerweile gestorben oder zumindest nur noch so lebendig wie ein ausgeknockter Boxer. Behlert sagt: „Wir sind ja prinzipiell bereit, jeden Weg mitzugehen, wenn er uns hilft, aber außer dem Fakt, dass auf dem Papier etwas geregelt wurde, hat diese Kooperation nichts gebracht.“ Es gebe kein Angebot mehr von den Profis. Und er habe auch keine Lust, seinem fachkundigen Publikum schlechte Profikämpfe zu bieten. Es herrsche Funkstille zwischen beiden Parteien. „Die Wirksamkeit war nicht mehr da“, sagt er.

Im vergangenen Jahr versuchten die Hallenser Veranstalter noch, Faustkämpfer mit Leibchen und solche mit nacktem Oberkörper in einer Halle boxen zu lassen. Sogar einen Lokalmatador hatte man in den Ring beordert, einen der ihren, der den Weg zu den Profis gefunden hatte. Steven Küchler alias „Mister Hollywood“ trat gegen einen Gegner an, den nicht nur er nach dem Kampf sofort wieder vergessen hatte. „Das war eine ganz schwache Nummer, nach dem Kampf hat das Publikum den Steven sogar ausgepfiffen“, erinnert sich Behlert an die gescheiterte Fusion der Faustkampfsparten. „Mister Hollywood“ schlich aus der Eissporthalle, und die Zuschauer fragten sich, was an diesem Auftritt des Local Hero nun filmreif gewesen sein sollte. Der Kampf zeigte beispielhaft, dass Universum kein Interesse daran hat, auch nur halbwegs attraktive Duelle zu kreieren – sofern die Angestellten bei Amateurveranstaltungen boxen.

Umgekehrt sieht es nicht viel besser aus. Veranstaltet Universum eines seiner Boxspektakel, dann flüchten die Zuschauer, wenn ein Athlet mit Kopfschutz naht. „Es ist nicht angenommen worden“, sagt Alexander Mazur, Vizepräsident des DBV. „Kommen die Amateure, dann stehen die Leute auf und trinken etwas an der Bar.“ Amateurboxen ist ihnen zu weich, nicht schillernd genug. Es verfügt nicht über den Unterweltappeal, kurzum, es ist in der kommerzialisierten Welt des Boxens nicht satisfaktionsfähig.

Was bleibt, sind ein paar Vorverträge einiger Amateure mit Universum, wenige Trainingseinheiten mit den Profis und die Erkenntnis, dass die Amateure keinen Eintritt in die Mediengesellschaft bekommen. Sie werden vom Fernsehen ignoriert. Nur bei Olympia dürfen sie kurz ihre Künste zeigen; in Athen holten die deutschen Boxer immerhin zwei Bronzemedaillen. Das brachte ein paar Sendeminuten. Ganz anders sieht es bei den Profis aus. Ertönt ein Gong, sind auch schon die Rotlichter der Kameras an. In den Ring steigen darf, wer einen Uppercut von einem Leberhaken unterscheiden kann. „Jede durchschnittliche Profiveranstaltung wird übertragen“, ärgert sich Jürgen Behlert, „aber vom Amateurboxen gar nichts, dabei sind wir doch der Stamm des Boxens – das tut weh.“

Vom Chemiepokal wird, außer im Regionalfernsehen, wieder nichts zu sehen sein. Obwohl die kubanische Staffel nach Halle gekommen ist. Ihre Präsenz hat das Turnier am Leben erhalten. Seit gestern läuft die 33. Ausgabe des Chemiepokals, diesmal im Ballsaal eines Hallenser Hotels. Zu den Finalkämpfen am Sonntag erwartet Behlert 700 Zuschauer. Man werde in diesem Jahr eine schwarze Null schreiben, sagt der Funktionär, der angesichts des Nischendaseins nicht davor gefeit ist, nostalgisch zu werden. „In der DDR war ein ganzes Unternehmen um den Chemiepokal herum beschäftigt, heute überlebt das Turnier nur durch Ehrenamtliche.“

Früher pilgerten über 5.000 Leute, zum Teil delegiert, zum Teil interessiert, in die Eissporthalle. Die Ideale des Amateursports wurden hoch gehalten. Profitum war verpönt. „Aber das ist Vergangenheit“, sagt Behlert. „Heute haben wir ganz andere Probleme.“ Der Kopfschutz müsse fallen, ebenso die Kampfzeit von drei mal drei Minuten wieder eingeführt werden. Zudem beklagt er die Starre im internationalen Verband, den der betagte Pakistaner Anwar Chowdhry führt. „Es fehlt an Progressivität, es gibt zu viele Fragezeichen und zu wenig Antworten“, sagt Jürgen Behlert – und erweist sich in seiner Analyse des Amateurboxens als echter Profi.