Jugendsozialarbeit mit Gummiknüppel

Vierzehn Monate vor der Fußball-Weltmeisterschaft verschärft sich in diversen europäischen Ländern der Hooliganismus. Fanprojekte warnen bei der Bekämpfung vor einer reinen Politik des „harten Durchgreifens“

BERLIN taz ■ Torsten Rudolph ist ein wichtiger Mann bei Dynamo Dresden. Seit drei Jahren leitet er das Fanprojekt des Vereins. Er soll bei der Bekämpfung des Gewaltproblems helfen, das derzeit in der öffentlichen Wahrnehmung so präsent ist wie lange nicht mehr. Ob beim Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft in Slowenien, beim Mailänder Stadtderby in der Champions League oder eben in Dresden: Durch zahlreiche Ausschreitungen von Fußball-Fans ist die Sicherheitsfrage vierzehn Monate vor der WM in Deutschland das Thema Nummer eins.

Hierzulande ist das Gewaltproblem vor allem ein Problem des Ostens. Das belegt eine gerade publik gewordene Studie des Fanforschers Gunter A. Pilz. Und das belegen Zahlen. Sechsmal waren in dieser Zweitligasaison Fans der vier ostdeutschen Vereine an Ausschreitungen beteiligt. Nur einmal, beim Spiel Essen gegen Frankfurt, waren es Fans aus den alten Ländern. „Im Osten hat sich eine jugendliche Subkultur gebildet. Die Leute sind geil auf Gewalt und machen alles, um auf die Titelblätter zu kommen“, sagt Sozialpädagoge Torsten Rudolph.

Doch warum hat sich der Hooliganismus vor allem in Dresden, Cottbus oder Erfurt manifestiert? „Das Problem ist nicht neu“, sagt Hans-Georg Moldenhauer, Ost-Vertreter im Präsidium des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Schon in den Siebziger- und Achtzigerjahren wurde der Fußball im Osten als Plattform für Gewalt genutzt, öffentlich wurden die Vergehen selten. Die Gewalt im ostdeutschen Fußball ist aber kein reines Erbe der DDR. „Wo die sozialen Probleme heute am größten sind, neigen Menschen leider schneller zu Gewalt“, sagt Uwe Leonhardt, Präsident des FC Erzgebirge Aue. Vornehmlich Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren, oft unter Alkoholeinfluss, artikulieren ihren Frust durch Gewalt, bei Stadtfesten oder Demonstrationen – aber hauptsächlich beim Fußball.

Sicherheitstrakt Stadion

Wenn heute das Zweitligaspiel zwischen Erfurt und Cottbus angepfiffen wird, werden mehrere hundert Polizisten bereitstehen. Rowdys aus Cottbus hatten für diese Partie Randale angekündigt. Folglich wurde der Ticketverkauf an die Vorlage des Personalausweises gebunden. Das Steigerwaldstadion, das durch seine veraltete Architektur ebenso unsicher ist wie die Arenen in Dresden und Cottbus, wird einem Sicherheitstrakt ähneln. „Auch die Polizei hat einen Lernprozess durchgemacht“, sagt Berndt Fleischer, Sprecher der Polizei Cottbus. Immer mehr Beamte werden für den Fußball abgestellt. Allein der Ermittlungsgruppe Hooligan in Berlin gehören 23 szenekundige Beamte an.

Doch mit der Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen wächst der Unmut der Ultras, die sich mit Choreografien und bengalischen Feuern gern selbst in Szene setzen. Allein in Dresden wurden in dieser Saison 150 Stadionverbote ausgesprochen, in Deutschland waren es in den vergangenen zehn Jahren mehr als 2.500. Viele Ultras kontern die resolute Einschränkung mit Gewalt. Deshalb werden sie als gefährlicher eingeschätzt als die Hooligans, die sich zu ihren Schlägereien meist in der Abgeschiedenheit treffen. Die Funktionäre der Vereine fordern dennoch ein härteres Durchgreifen: „Wer Wind sät, muss Sturm ernten“, sagt zum Beispiel Dieter Krein, Präsident des FC Energie Cottbus. Er würde sogar Wasserwerfer einsetzen und die Bilder der Gewalttätigen veröffentlichen. Dagegen plädieren Fanbetreuer für einen moderaten Kurs. So will Torsten Rudolph, Dynamos Fanprojektchef, präventiv arbeiten. Seiner Meinung nach werden Stadionverbote oft willkürlich verhängt: „Wir müssen so früh wie möglich mit der Aufklärung beginnen, am besten schon in den Schulen.“

Doch das ist fast unmöglich in Anbetracht der leeren Kassen. Die Fanprojekte in den neuen Bundesländern werden künstlich am Leben gehalten. Bei Dynamo Dresden arbeiten gerade mal zwei hauptamtliche Mitarbeiter, der Etat von 80.000 Euro ist niedrig, liegt aber immer noch über dem anderer Ostklubs. Die Vereine bitten den Staat um mehr Hilfe, der Staat schiebt die Verantwortung zurück an die Vereine. Treffend illustriert wird das am Beispiel Sachsen. „Gegen Versäumnisse jahrelanger unprofessioneller Fanbetreuung mancher Vereine ist der Staat machtlos“, sagt Thomas de Maizière, Sachsens Innenminister. Allerdings ist der Freistaat eines von zwei Bundesländern, das sich nicht an der Drittelfinanzierung beteiligt, einem Projekt des Nationalen Konzepts Sport und Sicherheit, das besagt, dass der DFB 30.000 Euro für ein Fanprojekt in der zweiten Liga bereitstellen würde, wenn Kommune und Land den gleichen Beitrag leisteten.

Unterstützung erhalten die Klubs von Alfred Sengle, dem Sicherheitsbeauftragten des DFB: „Diese öffentliche Jugendsozialarbeit ist zunächst einmal Sache des Staates und nicht des DFB.“ Was bleibt, ist das Vorantreiben kurzfristiger Maßnahmen: die Schulung von Vereinsordnern, die Installierung von Kamerasystemen bis in die Regionalliga und eine bessere Abstimmung zwischen Vereinen und Polizei.

RONNY BLASCHKE