JOSCHKA FISCHER VOR DER KAMERA HILFT DER WAHRHEITSFINDUNG NICHT
: Nicht: „Was war?“, sondern: „Wie war er?“

Jean-Jacques Rousseau war gegen das Theater und hatte dafür zwei Gründe. Erstens: Es drängt den Zuschauer in eine rein passive Rolle. Zweitens: Schauspieler verstellen sich, sie stecken hinter Rollen, und je besser ihre Maskerade gelingt, desto tiefer wird der staunende Laie ins falsche Spiel verwickelt. Am Ende weiß er nicht mehr, wer vor ihm steht, Mensch oder Mime. Der politischen Öffentlichkeit, befand Rousseau, bekommt die „Spielerei“ nicht gut. Wo Transparenz herrschen sollte, gibt es nichts als Falschheit, und ein geheimes Skript schreibt vor, was passiert, während doch Offenheit gefragt ist. Und: Wer, wie das Volk, herrschen soll, darf nicht nur „glotzen“ wollen.

Man kann sich leicht vorstellen, was Rousseau von einem Staatstheater gehalten hätte, eingerichtet fürs politische Amüsement des verdrossenen Volkes. Das eben steht uns jetzt bevor: Joschka Fischer „gibt“ im Untersuchungsausschuss den Minister, vor laufenden Kameras, mit Millionen Wählern im Parkett und auf den Rängen. Es wird ein Polit-Spektakel, vom Effekt her, auch der Absicht nach: großer Auftritt, imponierende Gestik, pathetische Worte, zerknirschtes Gesicht, geläuterte Seele. Die Zuschauer werden nicht fragen: Was war? Sondern: Wie war er? Und von der zweiten Antwort werden sie auf die erste schließen.

Freilich, die gegen das Spektakel waren, wollen nicht der Demokratie einen Gefallen tun. Sie hätten nur gerne ein anderes Stück auf einer anderen Bühne gespielt: Fischer wäre stummer Statist geblieben, sein restlicher Glanz hätte niemanden ausgeblendet. Nicht Akteure, sondern Akten wären aufeinander geprallt, und statt des Spiels hätte man nur das Ergebnis öffentlich aufgeführt. Kurzum: Nicht einmal gute Unterhaltung.

War’s das? Vermutlich ja, vielleicht nicht. Zwar schmecken alle Beteuerungen, man wolle mit Fischer nun endlich mehr Öffentlichkeit wagen, ganz nach gedroschenen Phrasen. Doch die „List der Vernunft“ ist auch in der Politik kein ganz unbekanntes Phänomen. Darauf mag bauen, wer hoffen will. WOLFGANG FACH

Der Autor lehrt Politikwissenschaft an der Uni Leipzig