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„Endlich die Verantwortung akzeptieren“

NS-VERBRECHEN Noch immer streiten die Nachfahren der Opfer des Massakers von Distomo um eine Entschädigung. Der Hamburger Anwalt Martin Klingner unterstützt ihren Kampf seit Jahren. Nun hofft er auf eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs

Martin Klingner

■ 50, Rechtsanwalt in Hamburg. Seit 2001 Mitarbeit im „Arbeitskreis Distomo“, der rund 10 Mitglieder hat.

INTERVIEW E. F. KAEDING

taz: Herr Klingner, Sie kämpfen um eine Abfindung für die Opfer des Distomo-Massakers 1944. Die Bundesregierung hat bereits 115 Millionen Mark als Entschädigung an Griechenland überwiesen. Reicht das nicht aus?

Martin Klingner: Ich würde das nicht als Entschädigung bezeichnen. Es gab eine Pauschalzahlung an Griechenland sowie an viele andere westeuropäische Länder auch. Das Geld war aber nie dazu gedacht, um Opfer von Kriegsverbrechen zu entschädigen.

Sondern?

Es ging einzig um Opfer von konkreten Verfolgungsmaßnahmen. Deshalb sollten die griechischen Juden zumindest eine symbolische Summe erhalten.

Als Anwalt sind Sie zuständig für Miet- und Straßenverkehrsrecht. Wie kamen Sie dazu, sich mit NS-Verbrechen zu beschäftigen?

Ich bin Zivilrechtler. Beim Massaker in Distomo wurden Menschen ermordet, es ist Eigentum zerstört wurden, daraus resultieren Ansprüche, die im Zivilrecht ihre Wurzel haben. Aber ich bin nicht als Jurist zu dem Thema gekommen, sondern als politisch interessierter und aktiver Mensch. Antifaschismus, Geschichts- und Gedenkpolitik haben mich immer interessiert.

In Italien oder Frankreich gab es ähnliche Gräueltaten. Warum kümmern Sie sich um Griechenland?

Das Land hat in Deutschland beim Thema Kriegsverbrechen nie eine Rolle im öffentlichen Bewusstsein gespielt. Man fuhr im Urlaub hin und wunderte sich, warum dort ein Gedenkstein steht. Und das, obwohl Griechenland nach der Sowjetunion und Polen eine der höchsten Quoten von zivilen Opfern zu beklagen hat.

Wäre eine offizielle Entschuldigung der Bundesregierung ausreichend?

Nein, aus unserer Sicht reicht das nicht. Und den Opfern auch nicht. Die Menschen mussten und müssen mit diesem Verbrechen und den Folgen leben. Und selbst, wenn sie heute einen finanziellen Beitrag bekommen, dann ist das auch nur eine Geste. Sie wird ihnen nie den Schmerz nehmen, den sie durch den Verlust ihrer Angehörigen erlitten haben.

Zyniker würden sagen: Warum dann überhaupt zahlen?

Aus Sicht der Opfer stellt sich diese Frage überhaupt nicht. Es ist klar, sie haben den Anspruch. Und aus deutscher Perspektive sage ich, die Bundesrepublik soll verdammt noch mal ihre Verantwortung endlich akzeptieren. Ohne finanzielle Verpflichtung sind es nur leere Worte.

Warum will Deutschland seine Kriegsverbrechen nicht anerkennen?

Ich glaube, weil es die „normalen“ Deutschen betraf. Es waren zum großen Teil Soldaten der Wehrmacht an den Massakern beteiligt. Man sah sie als ehemalige Kameraden, die man nicht strafrechtlich belangen wollte. In den 50er- und 60er-Jahren saßen ausreichend Altnazis in den Ermittlungsbehörden. Eine strafrechtliche Aufarbeitung wurde so massiv verhindert.

Zwangsarbeiter werden entschädigt, Opfer von Kriegsverbrechen aber nicht. Gibt es eine Zwei-Klassen-Aufarbeitung?

So würde ich das nicht formulieren. Die Bundesrepublik hat ja nicht gesagt: Wir verfolgen die schlimmsten Verbrechen wie die in den Vernichtungslagern, und die anderen lassen wir weg. Man wollte überhaupt nichts verfolgen. Der Auschwitz-Prozess kam nur zustande, weil sich der damalige leitende Staatsanwalt in Frankfurt durchsetzen konnte. Ansonsten hätte es den auch nicht gegeben.

Warum hat sich Griechenland auf die Auslieferung der Kriegsverbrecher eingelassen?

Es hat nicht auf das Thema Strafverfolgung gesetzt, sondern auf Entschädigung. Folge der 115-Millionen-D-Mark-Zahlung war ja, dass Griechenland alle verurteilten Kriegsverbrecher an Deutschland ausgeliefert hat. Und dass alle politischen Ermittlungsakten zu Kriegsverbrechen an die Bundesrepublik überstellt wurden, mit der Zusicherung, man würde die Ermittlungen hierzulande fortführen. Natürlich gab es keine Anklagen und alle Verfahren wurden eingestellt.

Mit welcher Begründung?

Das Massaker von Distomo

■ Beim Massaker im Dorf Distomo erschossen 1944 Wehrmachtssoldaten und SS-Einheiten 218 der knapp 500 Einwohner des Ortes. Unter den Opfern waren vor allem alte Menschen, Frauen, Kinder, sogar Säuglinge.

■ Das höchste griechische Gericht verurteilte Deutschland 2000 zu einer Entschädigungszahlung von 28 Millionen Euro an die Opfer. Die Bundesrepublik hat bis heute nicht bezahlt und beruft sich dabei auf die „Staatenimmunität“.

Von nicht ermittelbarer Täterschaft über Verjährung bis hin zu Befehlsnotstand.

Für Opfer und Angehörige bleibt also nur die zivilrechtlicher Ebene.

Sie ist die einzige Option auf eine juristische Aufarbeitung und Anerkennung der Schuld. Wäre dem deutschen Staat die Aufarbeitung wichtig, könnte er freiwillig eine Entschädigung zahlen.

Auf entsprechende Resolutionen von Ihnen an die Bundesregierung gab es bereits eine Antwort.

Ja, und die ist immer gleich: nach so vielen Jahren friedlicher und freundschaftlicher Zusammenarbeit mit Griechenland sei das Thema Reparationen erledigt. Man bedaure, was passiert sei, aber spezielle Leistungen könne man nicht erbringen.

Der Internationale Gerichtshof berät gerade ein griechisches Urteil, nach dem Deutschland 28 Millionen Euro an die Opfer zahlen muss. Wie schätzen sie die griechischen Chancen ein?

Ich habe die Hoffnung, dass der IGH den Schutz der Individuen und die Einhaltung individueller Rechte höher einstuft als das Recht des Staates, nicht verklagt zu werden. Die Entwicklungen der jüngsten Zeit, Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht zu sanktionieren, stimmen mich optimistisch.

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