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: Kroklokwafzi?

Richtige Schriftsteller schreiben richtige Bücher, und das sind in der Regel keine Kinderbücher, weil es für die schließlich die Kinderbuchautoren gibt. Manchmal aber kommt es vor, dass ein richtiger Schriftsteller ein Kinderbuch schreibt, und dann fragt man sich, ob der Schriftsteller vielleicht ein Kind gekriegt hat. Denn wie kommt er sonst auf diese Idee? Oder wollte er vielleicht üben? Peter Stamm, der Schweizer Schriftsteller, jedenfalls hatte schon genug geübt, seine Romane „Agnes“ und „Blitzeis“ zeugen davon. Also muss er wohl Vater geworden sein, aber das weiß ich nicht genau.

Auf jeden Fall ist „Warum wir vor der Stadt wohnen“ ein richtiges Bilderbuch von einem richtigen Schriftsteller. Wie in seinen Büchern für Erwachsene erzählt Stamm von den mal gängigen, mal skurrilen Suchbewegungen moderner Menschen. Die wünschen sich eine Heimat oder so etwas Ähnliches, halten es aber nirgends lange aus. So ist es auch hier. Die Bilderbuchfamilie wohnt im Haus mit der blauen Lampe, doch schon bald wird die Idylle ausgezählt: „Der Vater las vier Zeitungen, die Mutter kaufte drei Stühle, die Großmutter strickte zwei Paar geringelte Socken für jeden von uns und der Großvater verlor eine Sonnenbrille. Die Schwester war immer traurig. Deshalb zogen wir in den Trolleybus.“

Im Trolleybus mussten sie jede Stunde neue Fahrkarten lösen, und es roch nach Diesel und Schweiß. Also kommt es wieder zum Countdown von vier abwärts. So geht das weiter. Immer skurriler werden die Orte. Die Familie wohnt auf einem Kirchdach und einem Hut, in einer Geige und auf dem Mond, im Nirgendwo und im Meer und am Ende ziehen sie vor die Stadt. Vielleicht sind sie nur des Herumziehens müde. Auf jeden Fall geht es dort allen immer besser, und deshalb werden sie noch eine ganze Zeit bleiben.

Man wünschte sich, Toni Morrison hätte genauso viel Geschick wie ihr Kollege aus der Schweiz. Morrison hat „Das Buch der Bösen“ mit ihrem Sohn Slade gemacht, vielleicht hat sie ihm aber auch nur ihren Namen geliehen, als Startkapital sozusagen. Die Geschichte ist recht konventionell, und weder die Zeichnungen noch die Übersetzung von Harry Rowohlt können darüber hinwegtrösten. Ohne Spannung geht das Morrison-Duo vom Allgemeinen ins Spezielle und wieder zum Allgemeinen zurück. Da ist dann die Mutter böse, weil sie schreit, und der Lehrer, weil er die Kinderschrift ordentlich zwischen zwei Linien sehen will. Und am Ende trumpft der tapfere Hase mit einem Lächeln gegen das Böse auf.

Wie erfrischend ist dagegen das große Bilderbuch über das große Lalula des großen Dichters Christian Morgenstern. „Kroklokwafzi? Semememi! Seiokrontro – prafriplo: Bifzi, bafzi; hulalemi: quasti basti bo … Lalu lalu lalu la!“ Auf dieser Textgrundlage hat Norman Junge ein höchst musikalisches szenisches Kabinettstück aufgebaut. Auf die Spitze getrieben aber hat die Idee, ein Bilderbuch wie ein Bühnenstück zu konstruieren, der amerikanische Illustrator Chris van Allsburg. 26 Akte, in denen jeweils ein Buchstabe einen Auftritt hat – ein surreales Drama, das mit einem Attentat aufs A beginnt und mit einem zerplatzten Z endet: ziemlich genial, dieses Theaterstück in Bildern. ANGELIKA OHLAND

Peter Stamm, Jutta Bauer: „Warum wir vor der Stadt wohnen“. Beltz und Gelberg, Weinheim 2005, 48 Seiten, 18 EuroSlade und Toni Morrison: „Das Buch der Bösen“. Mit Bildern von Pascal Lemaitre. Aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Sauerländer bei Patmos, Düsseldorf 2004, 48 Seiten, 14,90 EuroChristian Morgenstern: „Das große Lalula“. Illustrationen von Norman Junge. Aufbau Verlag, Berlin 2004, 15 EuroChris Van Allsburg: „Das Z zerplatzt“. Deutsche Verse von Ebi Naumann. Carlsen Verlag, Hamburg 2005, 56 Seiten, 18 Euro