Eltern haften für ihre Kinder

Zwei Elternpaare fundamentalistischer Schulverweigerer im Kreis Gütersloh kommen 6 Tage in Haft. Die Haftbefehle sind ausgestellt, der Landrat des Kreises kündigt einen „überraschenden Zugriff“ an

VON ELMAR KOK

Sven-Georg Adenauer, der CDU-Landrat des Kreises Gütersloh, setzt sich persönlich dafür ein, dass zwei Elternpaare einer baptistischen Gemeinde in Haft kommen. Die Eltern, die ihren Kindern immer wieder die Teilnahme an Unterrichtsveranstaltungen verboten hatten, sollen nun sechs Tage in Erzwingungshaft, da sie ein Bußgeld für die Schulverweigerungen nicht bezahlt haben. Die Eltern hatten ihren Kindern beispielsweise die Teilnahme an der rhythmischen Tanzgymnastik verboten, auch das Theaterstück „Urmel aus dem Eis“ durften sie nicht sehen.

Nun liegen die Haftbefehle vor. Adenauer kündigt einen „überraschenden Zugriff“ an: „Wir werden keine Mutter festnehmen, die mit ihrem Kind beim Arzt ist, wir werden so zugreifen, dass die Kinder möglichst geschont werden“, sagt der Landrat. Alle Gespräche mit den betroffenen Familien seien gescheitert, „die bewegen sich keinen Millimeter“. Nun werde in Gütersloh die harte Linie gefahren. Wenn diese Menschen sich nicht mit den Verhältnissen arrangieren wollten, so Adenauer, „dann sollen sie dahingehen, wo es ihnen besser gefällt“.

Der Landrat setzt darauf, dass der Druck, den er nun inszeniert hat, die Familien zum Wegzug bewegt. Denn Adenauer will „die Unruhe an den Schulen beenden“. Es könne nicht sein, dass Tanzgymnastik wegen Sexismus abgelehnt werde und Theaterstücke wie „Urmel aus dem Eis“ als okkulte Zauberei angeprangert würden. „Die anderen Schulkinder werden von dieser Minderheit unter Druck gesetzt“, die Kinder der Schulverweigerer hätten ihre Mitschüler sogar schon als Hexer bezeichnet, sagt Adenauer.

Die Gespräche im Vorfeld des Bußgeldverfahrens, das jetzt zur „Erzwingungshaft“ führen wird, hätten den Konflikt zwischen Eltern und Schulamt nicht lösen können, berichtet der Gütersloher Schulamtsdirektor Helmut Stieghorst. „Sie werden zugeschüttet mit einer Aneinanderreihung von zusammenhanglosen Bibel-Zitaten“, sagt Stieghorst. Zudem habe er sich als „Christenverfolger“ und „Bibelbeuger“ beschimpfen lassen müssen, berichtet Stieghorst von den gescheiterten Gesprächen. Auch sei den Behörde vorgeworfen worden, „die Zustände hier seien schlimmer als in der ehemaligen Sowjetunion“. Insofern sei die Aussage, des Landrates, die Aussiedler könnten wieder dahin zurückkehren, wo sie herkämen, durchaus zu verstehen.

Stieghorst rechnet nicht damit, dass sich durch die Haft etwas an der Haltung der Baptisten ändert. „Ob durch die Haft die Zahlungswilligkeit eintritt, ist zu bezweifeln“, sagt Stieghorst. Es gebe jetzt einen Machtkampf und die Bereitschaft der Betroffenen, in der Haft „ihre Märtyrer-Rolle“ einzunehmen.

Mit dem Machtkampf muss sich nun auch das Düsseldorfer Schulministerium auseinander setzen. Der Siegener Fundamentalchrist und 1. Vorsitzender des Heimschulnetzwerks der „Philadelphia-Schule“ hat Schulministerin Ute Schäfer (SPD) in einem Brief gedroht. Er schreibt laut Ministeriumssprecher Ralph Fleischhauer, die baptistischen Gemeinden hätten „mit ihren zigtausend Kindern das Potenzial, Deutschland über Nacht in einen totalitären Unrechtsstaat zu verwandeln“. Wahrscheinlich meint Stücher, dass das Verweigerungs-Potenzial dazu ausreiche, das Land wie einen Unrechtsstaat aussehen zu lassen. Fleischhauer dementierte gestern Presseberichte, nach denen Stücher in dem Brief angekündigt habe, „Gottes Volk steht zum Kampf bereit“.

Stücher allerdings bestätigte gegenüber der taz diesen Satz. Außerdem sagte Stücher, die Schulverweigerer „erleben schon jetzt den totalitären Unrechtsstaat“. Man könne seine Kinder nicht mehr zur Schule schicken, „allein im märkischen Kreis sind 50 Prozent der Schüler drogenabhängig“.