Das Fest zum Protest

Auch Erfolg kann Krise sein: Weil die Kulturelle Landpartie zu üppig blühte, kam sie in Kritik. Ein touristisches Massenhappening, meinen die einen. Künstlerischer Kollaps, sagen andere. Doch da man sich mit Streit im Wendland auskennt, hat man einen Weg zwischen Kunst und Politik gefunden

von Elke Schneefuß

Gleichschritt war der Takt im Wendland, und das 25 Jahre lang. Seitdem im Frühjahr 1980 mit der Besetzung der legendären „Bohrstelle 1004“ die Geschichte des Widerstands gegen deutsche Atompolitik im Wendland begann, konnte die Antiatomkraftbewegung immer wieder zeigen, wie eindrucksvoll ein Protest sein kann, wenn er von weiten Teilen einer Region getragen wird.

Doch seit der Ausrufung der „Republik freies Wendland“ hat sich vieles verändert: Der unmittelbare Protest gegen die Castortransporte ebbte in den letzten beiden Jahren ab, die Teilnehmerzahlen an den Anti-Castor-Veranstaltungen der Bewegung sinken. Statt dessen blühen und gedeihen andere Formen des Widerstands: Seit 1989 existiert die „Kulturelle Landpartie“ (kurz KLP), eine elftägige Veranstaltung im Mai, bei der im Wendland Höfe und Ateliers ihre Pforten öffnen, um den Besuchern wendländische Kunst und Lebensart vorzustellen.

Theater auf der Tenne, Keramiken in der alten Remise, ein Café unter Obstbäumen: hier konnte und durfte grundsätzlich jeder, wie er wollte – vorausgesetzt, er bekannte sich zu den Zielen der Antiatomkraftbewegung. Das „Fest zum Protest“ sollte ein Kontrapunkt zu den Großdemonstrationen und Sitzblockaden anlässlich der Castortransporte sein: „Wir wollten den Leuten zeigen, dass wir nicht nur ‚gegen‘ etwas sind, sondern auch ‚für‘ etwas einstehen“, sagt Andrea Zobel (44), die seit 1992 im Wendland lebt.

Bis zum Mai des vergangenen Jahres gehörte sie zu dem sechsköpfigen Organisationsgremium der „Kulturellen Landpartie“, das sechs Jahre lang in Rücksprache mit den Ausstellern das Kulturfestival organisierte. Die Besucherzahlen stiegen, die Zahl der Aussteller wuchs – vor allem und dank der Arbeit der Organisatoren. Doch was im Laufe der Jahre zu einer Erfolgsstory wurde, bekam schließlich Schlagseite. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr 2004 flogen hinter den Kulissen die Kissen. Das bisherige Führungsteam der Landpartie trat zurück, unter anderem deshalb, weil aus dem so genannten „Plenum“ der KLP (einer Art Vollversammlung aller aktiv Beteiligten) zu viele und scheinbar widersprüchliche Beschlüsse auf das Organisationskomitee niederprasselten.

Die bisher praktizierten Formen der Basisdemokratie in der KLP, bei der jeder zu jedem Thema gehört werden sollte, drohten aus dem Ruder zu laufen. Kritik an der Veranstaltung kam plötzlich aus verschiedenen Ecken: Für die einen war die Kulturelle Landpartie zu einem touristischen Massenhappening verkommen, der politische Anspruch längst zwischen Kirschkuchen und irischer Folklore flöten gegangen. Für die anderen drohte der künstlerische Kollaps der KLP, die sich Jahr für Jahr mit mehr Exponaten schmückte.

Michael Seelig (63), als Initiator des Pfingstmarktes „Kukate“ sozusagen ein „Geburtshelfer“ der KLP, hält von basisdemokratischen Klimmzügen anlässlich der Landpartie nicht viel – für ihn geht bei dieser Veranstaltung Kunst vor Politik: „Der Protest gegen die Atomkraftpolitik ist legitim, aber er ist nicht alles. Wir haben hier eine lebendige Region, in der außergewöhnliche Künstler arbeiten – das wollen wir bei der KLP zeigen.“ Vom und mit dem Widerstand allein kann das Wendland seiner Ansicht nach nicht (über)leben: „Wir brauchen Zukunftsstrategien. Die KLP sollte ein Beitrag dazu sein.“

Versuche, die KLP zu ihren politischen Ursprüngen als kreative Antiatomkraftdemonstration der friedlichen Art zurückzuführen, hält er für wenig aussichtsreich: „Bloß weil einer gegen Atomkraft ist, ist er doch noch lange kein guter Künstler,“ sagt Seelig, der inzwischen seine Veranstaltung auf dem Werkhof Kukate aus dem offiziellen Rahmen der Landpartie herausgelöst hat. Zwar läuft der Pfingstmarkt noch weitgehend zeitgleich mit der KLP, doch im offiziellen Veranstaltungsführer der KLP, dem „Reiseführer“, taucht er nicht mehr auf.

Der Einfluss derjenigen, die in der KLP vor allem Politik machen wollen, ist Seelig zu stark geworden, das gibt er offen zu. Inzwischen geht er mit dem legendär gewordenen „Pfingstmarkt“ seinen eigenen Weg. Andere, die die Landpartie seit vielen Jahren begleiten, wollen ihr dagegen treu bleiben.

„Der Überlebenswille der Veranstaltung ist stark,“ sagt Caspar Harlan (59), der seit 1976 im Wendland lebt und nach der turbulenten Phase im letzten Jahr jetzt Pressearbeit für die KLP macht. Ein neues Modell soll helfen, in Zukunft alle unter einen – künstlerischen und politischen – Hut zu bringen. Ein anderes Führungsgremium ist zur Rettung der Veranstaltung angetreten, die Arbeit der Beteiligten befindet sich noch in der Testphase. Ein zehnköpfiger, jeweils auf ein Jahr gewählter Rat soll in Rücksprache mit der Vollversammlung, dem „Plenum“, in Zukunft klären, wo es lang geht.

„Die Beschlüsse des Rates sind aber – im Gegensatz zu früher – unwiderruflich,“ erklärt Kerstin Krempe (45), die als Keramikerin an der KLP teilnimmt und im neuen Rat Verantwortung trägt. Tendenzen zur Spaltung, hofft sie, wird man mit dem neuen „Betreibermodell“ der Landpartie abwehren können. Denn: „Die Entscheidungen des Rates werden transparenter, wenn sie nach ausführlicher Diskussion im Plenum ergehen.“

Eine neue Sitzordnung bei den Versammlungen, ein neuer Tagungsort, zahlreiche Arbeitsgruppen zur Aufbereitung alter Streitpunkte – es wurde einiges getan, um die Arbeit in der KLP umzugestalten. Herausgekommen ist ein zeitraubendes Prozedere für die Entscheidungsfindung, aber die Mitwirkenden sind sich sicher, damit ein Stück Vielfalt und Basisdemokratie gerettet zu haben.

Die neuen Strukturen sind so angelegt, dass sich jeder an den Entscheidungen beteiligen kann und keiner auf Dauer Macht ausübt: „Auch das Loslassen gehört zu einer guten Basisdemokratie“, davon ist Andrea Zobel überzeugt. „Im Sommer 2005 werden wir entscheiden, ob wir bei dieser Gestaltung der KLP-Organe bleiben“, erläutert Kerstin Krempe.

Keiner der jetzt Verantwortlichen bereut den Zoff, den es im letzten Jahr gegeben hat: „Wir haben auch gewonnen dabei“, sagt Andrea Zobel – zum Beispiel an Erfahrung mit einer Streitkultur im Wendland, die in der Region schon oft erprobt werden musste. So oder so, die fünfte Jahreszeit im Wendland ist nicht totzukriegen. „Mittendrin habe ich oft das Gefühl, es wird zu viel,“ sagt Andrea Zobel, die ihre Fertigkeiten als Kerzenzieherin bei der KLP zeigt, „Aber im Herbst denke ich mir: Jetzt könnte es wieder losgehen.“

Und das wird es, allen Querelen zum Trotz, auch in diesem Jahr: Um die 40.000 Besucher werden nach vorsichtigen Schätzungen ab dem 5. Mai im Wendland erwartet. Vielleicht auch mehr, man wird sehen. Ist eben wirklich nicht totzukriegen, die gute, alte KLP.

Der „Katzekarrefisch“ zeigt den Weg: Die Zeichnung von Irmhild Schwarz ist das Motiv des diesjährigen „Reisebegleiters“ zur Kulturellen Landpartie, bei der vom 5. bis 16. Mai 550 Künstler an 100 Ausstellungspunkten verteilt auf 79 Dörfer im und um den Landkreis Lüchow-Dannenberg zu besuchen sind. Den „Reisebegleiter“ gibt es über die Kulturelle Landpartie, c/o feffa e.V., Lange Str. 46-48, 29451 Dannenberg. www.kulturelle-landpartie.de