Käuflich in Pappbechern

Sechs Personen suchen eine Heimat: Im Potsdamer T-Werk inszenierte Stefanie Döhle „Heimat 24“ von Esther Dischereit und fokussiert Identität zwischen Flughafenschalterhalle und Gedächtnispolitik

VON JENNY WARNECKE

Die Heimat kommt aus dem Automaten, sie wird instant in Phrasen portioniert und ist zum Glück käuflich in Pappbechern zu erwerben, 24 Stunden lang.

„Heimat“ passiert im Dazwischen der Übergangsorte wie zum Beispiel am Flughafen; die Selbstverortung läuft über das Mobiltelefon und über entindividualisierte Sätze wie „Willst du mit mir schlafen?“ am Flughafenschalter.

Sechs Personen produzierten am Donnerstagabend auf der Bühne des Potsdamer T-Werks Variationen zum Thema Heimat. Sie suchen beim ortlosen Gegenüber – „Wo bist du?“ „Ich weiß nicht. Ich have to check the ticket“ – zwischen Schalterhalle und Gedächtnispolitik. Doch bevor das Stück losgeht, muss die Heimat erst mal gründlich gereinigt werden von der Geschichte, mit Hilfe von Persil, das in den 50er-Jahren für die politische Säuberung von Biografien stand, zuverlässig, gewissermaßen.

Die Regisseurin Stefanie Döhle kommt aus dem Berliner Ernst-Busch-Labor. Mit ihrem Faible für Extremes – etwa in der Regie zu Fassbinders „Blut am Hals der Katze“ – begibt sie sich in der Zusammenarbeit mit der in Berlin lebenden Autorin Esther Dischereit mutig und großartig auf Neuland.

Bereits in ihrem Debüt „Joemis Tisch“ (1988) produzierte Dischereit in unverwechselbarem Stil Leerstellen und Scherben, wo eigentlich Selbstverortung und Spiegelbilder erwartet werden. Mit der Scherbenmetapher als Leitmotiv und höchstem Zugeständnis an Identität, entstanden in Essaybänden wie „Mit Eichmann an der Börse“, in zahlreichen Hörstücken sowie Gedichtbänden in ein hochcodiertes Zeichensystem fragmentarischer Zustände – „Übungen jüdisch zu sein“. In dem vorliegenden Stück wird der Gegenstand Heimat an seine Grenzen getrieben und dekonstruiert, denn spätestens seit dem Nationalsozialismus ist die Suche nach ihr fragwürdig.

Die Regisseurin Stefanie Döhle hat bei Esther Dischereit das Stück in Auftrag gegeben; und deren „verdichtete Prosa“ wirft szenische Schlaglichter: Heimat ist deutsches Ausbreiten im Vergessen. Heimat passiert im Dazwischen der Übergangsorte: exemplarisch im Flughafen. Heimat war der jüdische Besitz, in dem jetzt ein anderer seine Weste rein wäscht. Familie ist der letzte Ort, der mit Heimat in Verbindung gebracht werden kann. So weit die Vorlage.

Maria posiert, geputzt, mit Stuhl unter Mandelblüten, während sie, fotolächelnd, von der Flucht aus Serbien und der Vergewaltigung ihrer Tochter stottert. Bettina Scheuritzel überwältigt mit ihren paradoxen Gebärden, ein einem die Kehle zuschnürender Kontrast.

Stella und Jannik verpassen sich im Gespräch: „Ich liebe dich.“ „Natürlich. I got a 50 EUR flight.“ Der einzige Weg aus dieser Sackgasse ist die vollkommene emotionale Abgeklärtheit: „Ruf mich nicht an. Ich kauf mir deine Blumen.“ Die weiteren Annäherungen, von Andrea Hintermaier vampiresk-gnadenlos gegeben, vollziehen sich im zerfleischenden Pappbecherpetting. Die Variante „Selbstbefriedigung als Heimat“ funktioniert beim präsenten und sprachstarken Felix Sauer dann einfach selbstherrlich: „Man kann sich nicht selbst Gutnacht sagen – ist das ein Grund zum Heiraten?“, resümiert er als Bernd.

Die Bedrohung durch die Übermacht des Vollzugsbeamten, der seine Opfer selbst nackt noch durchleuchtet – over and over again – wird durch die Wiederholungen nicht zu Ende ausgespielt. Dazu verliert der Text durch die visuellen Effekte deutlich an Dimension.

Die darstellerische Leistung der jungen Schauspieler bringt jedoch nonverbal etwas anderes zur Geltung: Die Übermacht des einen am Arbeitsplatz wird vom anderen durch Ignoranz untergraben.

Die Inszenierung hat den Fokus auf die paarenden Näherungsversuche gerichtet, auch da, wo die becketthafte Isolation dramaturgisches und sprachliches Stilmittel ist. Dischereits politische Tiefe hat Döhle gemieden, die gedächtnispolitische Kritik reduziert, was sehr schade ist.

Die hoffnungslose Heimatverortung wird in der Krise der Individuen ausgelotet und gegen Schluss burlesk vom blauen Planeten ausgelagert und auf den Mars gebeamt. Ein konsequent ironisches Happy End.

T-Werk, Schiffbauergasse 1, 14467 Potsdam, am 28. und 29. April, 20 Uhr