PEINLICHER BESUCH BEI DER FAMILIE ZUM NEUJAHRSFEST
: Ausgelacht, weil partnerlos

VON JUTTA LIETSCH

Am 23. Januar beginnt das chinesische Neujahr. Es steht nach dem ewigen zwölfjährigen Tierkreis im Zeichen des Drachens. Hunderte Millionen von Chinesen haben sich in den vergangenen Tagen auf den Weg gemacht, um das Frühlingsfest in der Heimat zu feiern.

Das Fest der Freude und Familie ist für manche Chinesen allerdings ein Riesenproblem. Sie haben Eltern und Freunden vorgegaukelt, sie hätten in der Fremde längst Anhang gefunden – und können ihn nun nicht präsentieren. Und kaum etwas ist so schrecklich wie die ewigen Debatten am Familientisch, warum der Sohn, Bruder oder Neffe noch immer allein ist und wie man ihn am besten verkuppeln könnte.

Doch es gibt einen Ausweg aus der peinlichen Lage: die Freundin auf Zeit per Internetanzeige. „Ich möchte eine Freundin anstellen“, schreibt beispielsweise ein junger Mann auf dem Baidu-Portal. Zwischen 20 und 25 Jahre alt soll sie sein, „guter Schulabschluss wäre angenehm“. Attraktiv aussehen soll sie, „muss aber nicht schön sein. Auf dem beigefügten Foto bin ich derjenige in Schwarz“. Der junge Mann in Schwarz ist, wie er erklärt, in seinem Beruf zu sehr eingespannt, um sich eine Freundin zu suchen. Seine Internetbekanntschaft kann sich einen hübschen Nebenverdienst verschaffen. Er ist dafür bereit, bis zu 1.500 Yuan (umgerechnet knapp 190 Euro) zu zahlen – so viel verdient ein städtischer Volksschullehrer in einem halben Monat.

So prallt wie überall in der Welt auch in China bei wichtigen Festen die Sehnsucht nach der Geborgenheit in der Familie auf die Realität des Heimkehrstresses.

Die Suchanzeigen zeugen von Schicksalen wie dem jenes 26-jährigen Arbeiters aus der Hafenstadt Tianjin, der sich vor der Rückkehr in die Heimat fürchtet. „Vor ein paar Tagen kam mein Vater, um mich zu überreden, wieder nach Hause zu kommen“, schreibt er.

„Ich habe ihm versprochen, meine Freundin mitzubringen. Ich habe aber niemanden, und ich will nicht, dass mich die Leute daheim auslachen, weil ich drei Jahre lang weg war und immer noch keine Freundin habe. Alle anderen in meinem Alter haben schon ein Kind. Ich bin ein einfacher Arbeiter und kann 300 Yuan (umgerechnet rund 37 Euro) pro Tag zahlen, außerdem Unterkunft, Verpflegung und Reisekosten.“

Vielleicht hat er ja inzwischen eine sympathische Mietfreundin gefunden – und dann kann immer noch was Ernstes draus werden.