NEBENSACHEN AUS MADRID VON REINER WANDLER
: Schweigen oder streiten

ZWEISAMKEIT IM URLAUB LÄUFT NICHT – ZUR FREUDE DER SCHEIDUNGSANWÄLTE, DIE IM HERBST ABKASSIEREN

Endlich ist Sommer. So mancher in Spanien reibt sich die Hände. Das Geschäft läuft auf Hochtouren: bei den Strandbudenbesitzern, Kellnern, Reiseführern und den Scheidungsanwälten. In Spanien ziehen jeden Tag 400 Paare vor den Kadi, um ihrer Beziehung ein Ende zu setzen. Nach dem Sommerurlaub, im September, steigt die Zahl der Scheidungen um 30 Prozent. Im einst katholischsten Land Westeuropas, wo die Scheidung erst seit 1981 möglich ist, werden pro Jahr fast so viele Paare richterlich gelöst, wie Standesamt und Kirche zusammenführen.

Sommerzeit ist Schweige- oder Streitzeit. Immer mehr Paare haben sich nichts zu sagen. Und sie können sich nicht darüber einigen, wo die angeblich schönsten Wochen des Jahres verbracht werden sollen. Die Strände füllen sich mit Familien. Sie mit den Kindern am Strand, er mit den Kumpels in der Bar, nachdem er frühmorgens Sonnenschirm und Liegestühlen einen Platz in der ersten Reihe gesichert hat. Bei den eher seltenen Auslandsreisen geben 95 Prozent unumwunden zu, dass der/die LebenspartnerIn nicht die ideale Begleitung ist. Die SpanierInnen bevorzugen Freunde oder Verwandte oder fahren gleich allein. 20 Prozent der Männer und 10 Prozent der Frauen, die es ins Ausland zieht, tun dies. Und wer die „bessere Hälfte“ nicht abschütteln kann, verreist in größeren Gruppen.

Es herrscht eine tiefe Krise zwischen den Geschlechtern. Die Frauen haben nirgends so vom öffentlichen Leben Besitz genommen wie im Nach-Franco-Spanien. Die iberischen Machos kommen mit dem neuen Selbstbewusstsein nicht zurecht. Dies zeigt sich auch im Freizeitverhalten. Frauen bevölkern Museen, Kunstausstellungen, Theater, Buchhandlungen, während sich die Männer in ihre Reservate in Form von Fußballstadien und Kneipen zurückziehen. 41 Prozent gibt unumwunden zu, am liebsten mit Freunden und 24,5 Prozent mit engen Verwandten loszuziehen, wenn der Durst an den Tresen führt. Nur 29 Prozent beider Geschlechter dulden dort Partner oder Partnerin.

Der sozialistische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero hat sich dem Problem mit der Ehe bereits angenommen. Eines der ersten Gesetze, die Zapatero nach seinem Wahlsieg vor fünf Jahren auf den Weg brachte, ermöglicht die „Expressscheidung“ in nur vier Monaten. Sie ist – sehr zum Leidwesen der Bischöfe – ein voller Erfolg. 23 Prozent der Paare mache davon innerhalb der ersten fünf Jahre ihrer Ehe Gebrauch, 43 Prozent innerhalb der ersten zehn Jahre. Im September läuft der Server des Justizministeriums dann wieder heiß.