Erblindende Bilder

Das Metropolis zeigt den nie fertig gestellten Alliierten-Dokumentarfilm „Memory of the Camps“

Am 15. April 1945 erreichte die britische Armee das KZ Bergen-Belsen. Ihre film units filmten die unvorstellbare Wirklichkeit, die sie dort vorfanden. Die Befreier versuchten, die Größe der begangenen Verbrechen systematisch festzuhalten und zu beweisen.

Ab Mai 1945 wurde dann in London im Auftrag des westalliierten Oberkommandos an einem Dokumentarfilm gearbeitet, der sowohl der deutschen Bevölkerung gezeigt, als auch bei den Nürnberger Prozessen als Beweismaterial verwendet werden sollte. Als künstlerischer Leiter konnte Alfred Hitchcock gewonnen werden. Doch das Projekt wurde aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen den USA und Großbritannien und wegen Änderungen in der Deutschlandpolitik nie vollendet. Ein sechster Akt mit Material der Roten Armee von der Befreiung des KZ Auschwitz kam nie in London an.

Die ersten 55 Minuten lagen jahrelang im Archiv des Imperial War Museum. Dort wurden sie Anfang der 80er Jahre „entdeckt“, der beigefügte Kommentar wurde aufgenommen und der Film unter dem Titel Memory of the Camps 1984 uraufgeführt. Nach den ersten Bildern von Hitler-Reden und BDM-Aufmärschen sieht man dort ordentliche deutsche Bauernhöfe im Frühjahr 1945. Von dort bewegt sich der Film schnell zu Bergen von Leichen, dazwischen kranke und halb verhungerte befreite Häftlinge. Die Befreier zwingen die ehemaligen SS-Wachen, über 30.000 Leichen in Massengräbern zu begraben.

Die offensichtliche Unfertigkeit des Films illustriert dabei das zentrale Problem beim Umgang mit diesen Bildern. Die Montage scheint sich dessen bewusst zu sein, dass sie Gefahr läuft, die obszön angestarrten Opfer in dieser Rolle festzuschreiben. Doch die Sequenz, die zeigt, wie befreite Frauen sich waschen und mit neuen Kleidern wieder zu Menschen werden, bleibt dennoch voyeuristisch. Und die Versuche des Kommentars, einzelnen grausam verrenkten Toten eine Biographie zu geben, verschwinden fast in der ebenfalls intendierten Universalisierung der Opfer, die den Deutschen die Dimension ihrer Verantwortung deutlich machen sollte.

So ist Memory of the Camps heute auf drei Ebenen bedeutsam: als historisches Material, das das Ausmaß der deutschen Verbrechen tatsächlich erahnen lässt, als Dokument des Scheiterns der Alliierten bei der Arbeit mit diesem Material und als bereits 1945 formulierte Frage an einen zukünftigen Umgang mit dem Holocaust im Dokumentarfilm. Georg Felix Harsch

Do, 21.4., 21.15 Uhr, Metropolis. Mit zwei weiteren Kurzfilmen und einer Einführung von Thomas Tode