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Stolpernde Chansons über Fallobst und Rappen übers Rappen: Betancor und Kool Savas

Was, fragen Sie sich sicherlich, haben die beiden bitte bloß gemeinsam? Tatsächlich, das müssen wir zugeben, nicht unbedingt allzu viel. Aber immerhin sind beide Eigentümer von recht bekannten Kunstfiguren: Susanne Betancor hat als Kabarett-Persona die einigermaßen überzeichnete Chansonsängerin Popette Betancor aus Popettenhausen erfunden. Savas Yurderi wiederum ist verantwortlich für den selbsternannten King of Rap und angeblich besten lebenden deutschen Reimschmied Kool Savas aus Berlin-West. Beide Fantasiecharaktere haben nun neue Alben herausgebracht. Und beide sind … Nein, hier enden beim besten Willen dann doch die Gemeinsamkeiten.

Die Betancor liefert auch auf ihrem nun schon siebten Album „Kein Island“ die gewohnten Songs zwischen verrauchtem Jazz, absurdem Humor und stolperndem Chanson. Ihre früher oft ausgelebten südländischen Wurzeln berücksichtigt die Tochter eines Kanaren allerdings diesmal kaum, dafür huldigt die Wahlberlinerin ihrer Herkunft aus dem Ruhrgebiet mit dem rabiat rührseligen Lied „Taxi von Köln nach Gelsenkirchen“. Manche Lieder besitzen ein Gitarrensolo, andere handeln von Maggi-Fix. Durch ein Lied tröten einige sehr aufdringliche Blasinstrumente, gern und oft klimpert das Klavier, aber wenn es um die wahre, reine Liebe geht, dann im besten Falle um die zum Kartoffelpüree. Lebenshilfe ist natürlich auch im Angebot: „Öfter mal vom Boden essen“, empfiehlt die Sängerin, und überhaupt zieht sich der Umgang mit Lebensmitteln wie ein roter Faden durch „Kein Island“. Sogar das „Fallobst“ besingt sie, stellt aber dann doch fest: „was für ein selten blödes Thema“. Womöglich ist „Kein Island“ ja sogar ein Konzeptalbum. Wer weiß? Oder: Wer will das schon wissen? Eins immerhin ist sicher. Die Betancor hat recht, wenn sie singt: „Ich bin so lustig wie ein Vollkornbrot“.

Solch einen Satz würde man Kool Savas gern mal zum Freestylen vorwerfen. Denn auch auf seinem erstaunlicherweise erst dritten Album „Aura“ dominiert der gewohnte Battle-Rap. Savas, der nun wieder in Berlin lebt, kann immer noch Jörg Kachelmann und Hermann Hesse, Weight Watchers und das WM-Finale in einem einzigen Track unterbringen, seine Zunge ist immer noch so schnell wie kaum eine andere hierzulande und das Rappen übers Rappen beherrscht niemand wie er. Doch dass Savas die letzten Jahre in so spannenden Städten wie Heidelberg oder Paderborn verbracht hat und vor allem warum, das ist nicht zu hören. Die biografischen Verwerfungen, die ja durchaus interessant gewesen wären, weil sie auch ein Stück Berliner Musikgeschichte erzählt hätten, spart Savas wie gewohnt aus. Immerhin hat er sich getraut, mal ein wenig über die eigene Vergangenheit zu dichten, erwähnt ein paarmal seinen Vater und beschreibt die Zeit als blutjunger Rapper. Dass dieses Land trotzdem auf „Aura“ gewartet hat, ist daran zu erkennen, dass das Album als erstes in Savas’ Karriere auf Eins in die Charts einstieg. Und spätestens hier trennen sich die Wege von Kool Savas und Susanne Betancor endgültig. THOMAS WINKLER

■ Betancor: „Kein Island“ (Popappeal/Broken Silence), Record-Release-Party heute im BKA

■ Kool Savas: „Aura“ (Essah Entertainment/Groove Attack), Konzert am Samstag in C-Halle ausverkauft

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