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Blut im Hochprozentigen

SCHOKOLADE Skurrile Geschmacksentwicklungen konkurrieren mit dem puren Kakaogeschmack. Trendsuche in einem Feinkostladen und dem „Chocoversum“

Die dunkelrote Füllung liegt zäh auf der Zunge. „0,7 Prozent Blut“ steht auf der Packung

VON ALEXANDER KOHN

Schwitzend bahnen sich zwei junge Männer ihren Weg durch das Dickicht am Ufer des Amazonas. Plötzlich halten sie inne: ein wilder Kakaobaum mit gelben Früchten, die direkt am Stamm hängen. Es knackt, als sie ihre Beute mit Macheten vom Baum schlagen. Vorsichtig spalten die Männer die Schoten, beißen in das weiße Fruchtfleisch und lächeln erfrischt in die Kamera.

Dieses Video wird im Hamburger „Chocoversum“ gezeigt, wo Bärbel Dahms mit ihrem Team seit der Eröffnung im Dezember den Weg des Kakaos von der Ernte zur Schokolade erklärt. Neben der Videoinstallation liegt eine Kakaofrucht auf einem silbernen Tablett bereit. „Sie ist heute Morgen frisch aus Peru gekommen“, sagt Dahms und löffelt einen Happen Fruchtfleisch heraus. Es schmeckt leicht säuerlich – gar nicht wie Schokolade, eher ein bisschen wie Kokosnuss. „Die Kerne, also die Kakaobohnen, werden in den Herkunftsländern getrocknet und sind dann Jahre lang haltbar“, erklärt sie. „Deshalb kann mit Kakao leider so gut spekuliert werden.“

Sobald sich ein Käufer gefunden hat, werden die Bohnen bearbeitet. „Wenn man die gerösteten Bohnen gut kaut, fühlt es sich erst kühl im Mund an“, sagt Dahms und zerbröselt eine Bohne. Ein paar Krümel reichen schon: Nach einigen Sekunden wird es an den Rändern der Zunge ein bisschen bitter. Dann kommt erst der Kakaogeschmack durch.

Fruchtige und nussige Aromen entfalten sich bei Bohnen aus verschiedenen Regionen Südamerikas; mit etwas Fantasie sogar blumige Geschmacksnoten, wie Chocolatiers sagen. „Besonders aromatisch sind Edelkakaos, die bloß drei bis fünf Prozent der Welternte ausmachen“, erläutert Dahms. Verglichen mit dem Konsumkakao sind die Früchte der edlen Sorten kleiner und haben weniger Bohnen. Der Kilopreis sei dreimal so hoch.

Der Bremer Schokoladenhersteller Hachez, der das „Chocoversum“ betreibt, verarbeitet nur Edelkakaos. Fast alle Sorten haben einen Kakaoanteil von fünfzig Prozent oder mehr. „Je dunkler eine Schokolade ist, desto besser kann man die Kakaoaromen herausschmecken“, erläutert Dahms. Zusätzliche Aromen wie Chili oder Mango sollten maßvoll verwendet werden. Die Sorte „Tomate-Erdbeer-Himalayasalz“ flog im angrenzenden Laden erst kürzlich aus dem Sortiment. Dahms sieht die Moden skeptisch: „Als die Kakaopreise vor einiger Zeit besonders hoch waren, haben einige Hersteller die Rezepte vereinfacht und das als Neuheit angepriesen.“

Immer mehr Menschen schauten auf die Rückseite von Schokoladetafeln, sagt Olaf Büttner vom Konkurrenten Rausch: „Wie bei anderen Lebensmitteln werden die Menschen in Sachen Qualität wählerischer.“ In einfacher Konsumschokolade seien auch Abfallprodukte wie Pflanzenfette oder Molkepulver, was deren Verkaufschancen senke.

Das sieht auch Florian Kröger so, der den Feinkostladen „Claus Kröger“ in Hamburg-Altona in vierter Generation betreibt: „Viele kaufen in einem Supermarkt nicht mehr das Fünferpack-Sonderangebot, sondern nur eine Tafel – dafür eine besonders gute“, sagt er. Dieser Trend biete den exklusiven Produkten von kleinen Herstellern, auf die er sich spezialisiert hat, gute Chancen. Bei Weinproben serviert Kröger auch bittere Schokolade: „Das ist ein interessantes Geschmackszusammenspiel.“ Gut 250 verschiedene Sorten bietet er an.

„Das vielleicht ausgefallenste was es zurzeit gibt, ist Schokolade mit Kornelkirsche und Schweinsblut“, sagt er. „An die habe ich mich noch nicht rangetraut“, überlegt er laut und verschwindet kurz im Lager. Mit 70 Prozent Kakao kommt das Täfelchen recht bitter daher. Die dunkelrote Füllung liegt zäh auf der Zunge. Der kleine weiße Hund des Hauses lässt sich vom Duft der Schokolade nicht beim Dösen stören. „0,7 Prozent Blut“, steht auf der Packung. „Es gibt nichts mehr, was es nicht gibt“, sagt Kröger.

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