WILFRIED SCHARF, MEDIENWISSENSCHAFTLER
: Der streitbare Boxer

■ lernte während eines Volontariats bei Radio Bremen den publizistischen Alltag kennen.Foto: Lucas Sander

Die Universität Göttingen schließt ihr Zentrum für interdisziplinäre Medienwissenschaft (ZiM). Damit ist auch der Studiengang „Medien- und Kommunikationswissenschaft“ Geschichte. In der Humboldtallee 32 macht Wilfried Scharf das Licht aus. Der streitbare Wissenschaftler war zuletzt Leiter der Abteilung Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und damit der letzte Vertreter einer kurzlebigen, aber prägenden Disziplin in Göttingen.

Kaum ein Dozent an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät dürfte so polarisiert haben wie der groß gewachsene Ex-Boxer: Scharf, der in den 68ern selbst in Göttingen Publizistik studiert hatte, ist keiner, der laviert. Scharf schimpfte in Lehrveranstaltungen schon mal auf „Kapitalistenknechte“ und hatte Marx – wirklich – gelesen. Er galt als Verfechter eines Leistungsprinzips, vor dem seine Prüflinge Respekt hatten. „Im Alter ist er dann milder geworden“, scherzt ein ehemaliger Publizistikstudent. Eins aber blieb immer gleich: Die Lehrveranstaltungen waren brechend voll. Legendär waren Scharfs Filmseminare, die mit einer Vorführung im Göttinger Kultkino Lumière endeten und bei ein paar Kaltgetränken verlängert wurden.

Ende der 1990er Jahre startete in der Sozialwissenschaftlichen Fakultät dann der Frontalangriff auf das Publizistik-Institut. Scharf hatte die Disziplin inzwischen vom Neben- zum Hauptfach ausgebaut. Trotzdem wurde das gefragte Fach unter dem Spardruck der Ministerialbürokratie in Hannover zur Abwicklung freigegeben. Eine „vernichtende Forschungsleistung“ wurde den Publizisten vorgeworfen. Wilfried Scharf kann der Vorwurf nicht treffen. Er erforschte die Medien in der DDR, den Sportjournalismus, die Kriminalitätsberichterstattung in der Presse. In seinem kürzlich erschienen Buch „Deutsche Diskurse“ zeichnet er publizistische Kontroversen nach 1945 nach.

Scharfs Überzeugung dürfte sich in einem Punkt mit der Meinung von vielen decken: Bildung in Sachen Medienkompetenz ist wichtig. Die Göttinger Publizistik hätte mehr verdient, als aus Kostengründen ersatzlos dichtgemacht zu werden.LUKAS SANDER