„Wir mussten lernen, wann Lächeln ja heißt und wann Lächeln nein bedeutet“

CHINA Das Schweizer Fotografenpaar Braschler und Fischer porträtierte während sieben Monaten Chinesen in ihrer Arbeitsumgebung

■ Mathias Braschler und Monika Fischer sind mit ausdrucksstarken Porträtserien international bekannt geworden, bei denen sie die fotografierten Personen wie in einem Bühnenbild in Pose stellen. Nach einem Langzeitprojekt in den USA und der Ausstellung „Faces of Football“ reiste das Schweizer Fotografenpaar 2007 in Begleitung eines chinesischen Assistenten sieben Monate lang im Jeep durch China. Währenddessen fotografierten sie Bauern und Arbeiter, Reiche und Arme, Han-Chinesen ebenso wie Angehörige verschiedener nationaler Minderheiten. „Es ging uns darum, das heutige China in all seinen Gegensätzen zu zeigen“, sagen die Künstler zu ihrem Ansatz. Seit Samstag, 18. Juli 2009, sind 45 ihrer Fotos unter dem Titel „Die Chinesen“ auch zum ersten Mal in der Volksrepublik zu sehen, in einer Ausstellung der Paris-Beijing Photo Gallery im Pekinger Künstlerviertel 798. Anlässlich der Ausstellungseröffnung sprach die taz mit Mathias Braschler und Monika Fischer in Peking.

www.braschlerfischer.com; www.parisbeijingphotogallery.com

INTERVIEW JUTTA LIETSCH

taz: Frau Fischer, Herr Braschler, vor Ihrer Reise nach China hatten Sie eine Porträt-Serie in den USA gemacht, die 2007 in einem Fotoband unter dem Titel „About Americans“ erschienen ist. Wie unterschied sich Ihre Arbeit mit Amerikanern von der mit Chinesen?

Mathias Braschler/Monika Fischer: Bevor wir in China anfingen, haben uns alle gewarnt: Chinesen würden sich nicht als Individuen inszenieren wollen, hieß es. Sie seien ganz anders als die Amerikaner, die große Selbstinszenierer sind und dafür auch vor dem Spiegel üben. Wir haben unterwegs erfahren, dass es gar nicht so ist. Die Chinesen haben die Aufmerksamkeit sichtlich genossen, die so ein Porträtfoto bringt.

Wie haben Sie sich verständigt?

Die Verständigung hat uns größere Schwierigkeiten bereitet. Wir sind es gewohnt, selber auf die Leute zuzugehen, aber nun mussten wir alles über unseren Assistenten machen, der auch für uns übersetzt hat. Wir mussten zuerst auch lernen, die Körpersprache der Leute zu verstehen.

Warum war das wichtig? Je einfacher die Leute waren, Bauern zum Beispiel, umso offener waren sie. Auch sympathischer. Wir haben spontan in Fabriken angeklopft und gesagt, dass wir jemanden fotografieren wollten, weil die Industrie hier in China so wichtig ist. Unsere Anfragen wurden oft mit Lächeln quittiert. Wir mussten lesen lernen, wann das Lächeln „nein“ und wann es „ja“ heißt. Vor der Kamera drücken sich Chinesen auch anders aus als Amerikaner: Chinesen sind mehr bei sich selbst, nicht so sehr nach außen gewandt. Deshalb mussten wir mit der Kamera näher an die Leute herangehen als in den USA.

Was hat Sie bei Ihrer Arbeit am meisten überrascht?

Die große Vielfalt. Es gibt ja viele ethnische Minderheiten. Zwischen Han-Chinesen und Uiguren, Mongolen und Tibetern liegen Welten, und alle reagieren sehr unterschiedlich auf die Kamera. Aber es gibt auch sehr große Unterschiede innerhalb der Gruppe der Han-Chinesen …

… die rund 90 Prozent der Bevölkerung Chinas ausmachen. Aus dem Ausland gesehen scheinen sie ja oft wie eine homogene Masse, aber wir haben sehr große Differenzen gefunden, so wie bei uns in Europa zwischen Schweden und Süditalienern.

„Viele Chinesen haben eine kritische Einstellung zu dem, was Ausländer in ihrem Land tun. So konnte es geschehen, dass Umstehende nicht wollten, dass wir gewisse Themen fotografierten“

Konnten Sie überall fotografieren oder gab es Hindernisse? Erstaunlicherweise waren die Leute ausnahmslos spontan und offen – praktisch alle wollten mitmachen. Obwohl es sie viel Zeit kostete, denn im Durchschnitt dauerte es eine Stunde, bis alles aufgebaut und inszeniert war. Wir können ganz schnell sein, wenn es sein muss, zum Beispiel wenn das Thema etwas kritischer ist oder die Leute nicht so viel Zeit haben. Es kann aber auch sein, dass wir einen Tag mit ihnen verbringen. Allerdings hatten wir gelegentlich Probleme mit der Umgebung – nicht mit den Leuten selbst, die wir porträtiert haben. Dabei zeigte sich, dass viele Chinesen eine kritische Einstellung zu dem haben, was Ausländer in ihrem Land tun. Mehrmals gerieten wir in Situationen, in denen Umstehende partout nicht wollten, dass wir gewisse Themen fotografierten. Sie fanden, dass wir China im falschen Licht darstellten. Zum Beispiel?

Wir haben einen jungen Mechaniker fotografiert. Der lag schon den ganzen Tag unterm Lastwagen und war deshalb völlig mit Öl verschmiert. Da haben die Umstehenden begonnen, die Polizei anzurufen. Alle haben hier ja ein Handy. Plötzlich schlug die Stimmung um, wurde aggressiv. Am Schluss hat uns die Polizei fast aus dem Mob heraus gerettet. Die Polizisten haben uns lange auf der Wache festgehalten, befragt, und dann über Nacht im Hotel quasi eingeschlossen. Wir haben ihnen erklärt, dass der Dreck auf dem Gesicht und der Kleidung des Mechanikers in unserer Kultur dafür steht, dass man arbeitet und nicht dafür, dass man schmutzig ist. Das wollten sie aber nicht akzeptieren. Wir mussten dann noch ein Foto machen, das ihnen besser gefallen hat für ihre Stadt, so ein Vorzeigebild. Erst zwanzig Stunden später durften wir weiterreisen.

Kam so etwas öfter vor?

Wir sind insgesamt dreimal festgesetzt worden. Zweimal hatten wir etwas fotografiert, was der Obrigkeit nicht gepasst hat, weil es ihrer Ansicht nach für das Image von China nicht gut war. Außer dem ölverschmierten Mechaniker war es noch ein Schienenwärter in Xinjiang. Das war sicher auch deshalb problematisch, weil die Region Xinjiang politisch so ein heikles Territorium ist.

Und das dritte Mal?

Dabei ging es um einen Land-Konflikt, um Leute, die aus ihren Häusern vertrieben wurden. Da war viel Mafia, viel Korruption im Spiel. Die Funktionäre in Wuhan, einer großen Stadt in Zentralchina, wollten nicht, dass etwas über das Problem publik wird. In diesem Fall hatten wir noch nicht einmal die Kamera herausgenommen, sondern Leute, die dort von der Polizei malträtiert worden waren, haben uns kontaktiert und Bilder von mafiösen Gestalten gezeigt und davon, wie sie geschlagen wurden. Das allein hat schon gereicht, dass wir für vier, fünf Stunden festgehalten und immer wieder befragt wurden.

„Chinesen sind vor der Kamera mehr bei sich selbst und nicht so sehr nach außen gewandt. Deshalb mussten wir mit der Kamera näher an die porträtierten Personen heran“

Ihre Porträts werden jetzt zum ersten Mal in China gezeigt. Was erwarten Sie für Reaktionen vom chinesischen Publikum?

Wir sind sehr gespannt. Bei uns im Westen sind unsere Porträts sehr positiv aufgenommen worden. Wir nehmen an, dass es hier in China eine große Spannweite von Reaktionen geben wird – womöglich von totaler Ablehnung bis euphorischer Zustimmung. Das ist auch gut so. Wir polarisieren. Wenn alle unsere Bilder nur loben würden, dann hätten wir etwas falsch gemacht.

Was haben Sie jetzt vor?

Wir sind bereits bei unserem nächsten Projekt. Wir fotografieren Menschen in der ganzen Welt, deren Leben jetzt schon vom Klimawandel betroffen ist. Nächste Station ist Russland.