Ehret den Stellvertreter!

Phänomene dieser Welt: Alte Männer mit spitzen Mützen setzen Rauchzeichen

So viele kleine süße Dinge sind in der Welt, ohne dass jemand jemals je sagen könnte, wozu es sie eigentlich gibt. Aber wenn sie da sind, behaupten sie ihre Position und trotzen den Bemühungen von Wissenschaftlern, die das Wie, Woher und Wieso-überhaupt ihrer Herkunft zu ergründen trachten.

Seit mehreren Jahrzehnten beispielsweise untersuchen Expeditionsteams in den Vitrinen abgelegener Wohnzimmer die Funktionalität der so genannten Sammeltasse, ohne eine schlüssige Antwort auf die Frage nach ihrem tieferen Daseinsgrund finden zu können. Ebenso ungeklärt ist Forschern bis auf den heutigen Tag die Existenzberechtigung der von jedem Staatsmann zu zeigenden doppelten Stoffzunge mit dem Namen Krawatte, von der es sogar falsche und richtige gibt. Und um auf dem Gebiet der im Zickzack zwischen Entbehrlichkeit und Unentbehrlichkeit angesiedelten Fragilitäten eine aktuelle Herausforderung zu nennen: Cui bono Klingelton? – ein neueres Phänomen, das unbestreitbar da ist, aber ebenso unbestreitbar nicht da sein müsste.

Alle diese Forschungsgegenstände zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Leben vielleicht nicht wirklich verschönern, aber auch nicht allzu sehr stören. Wer will, soll sich ihrer erfreuen, wer mag, sie ignorieren – womöglich kann man sie auch hassen, wobei Feindschaften mit Sammeltassen immer leicht überspannt wirken.

Es ist wie mit dem Papst, von dem auch niemand genau weiß, wozu er zu gebrauchen ist und ob man nicht vor 1.000 Jahren nur vergessen hat, ihm Bescheid zu sagen, dass man ganz gut ohne ihn klarkommt. Niemand wird fiebernd mit Chips und Bier vorm Fernsehkasten sitzen, um sich live den Ausgang des Konklaves reinzuziehen. Aber jeder wird gern mal hinschauen, wenn der neue Mann sich die seltsame Kochmütze aufsetzt, nachdem irgendjemand, so wie auf dem Kinderspielplatz ein Zweijähriger mit seinem Sandeimerchen, gekräht hat: Habemus papam.

27 Jahre musste man warten, um endlich mal wieder alte Männer Indianer spielen zu sehen: mit Rauchzeichen, die zum Himmel steigen, mit doppelt gefalteten Zetteln, die erst mit einer Nadel durchbohrt und dann verbrannt werden, mit schweigenden Kriegern in der Höhle und den geheimsten Geheimnissen, die niemandem verraten werden dürfen. Es ist schade, dass KiKa, der Kinderkanal, nicht aus der Sixtinischen Kapelle überträgt.

Wenn man sich überlegt, dass so der Stellvertreter Gottes gewählt werden soll, kommt man schon leicht ins Kopfschütteln – aber es ist eben nur der Stellvertreter! Und was heißt: nur? Die Katholische Kirche dürfte die einzige Institution weltweit sein, die den Stellvertreter noch ehrt. Überall sonst in unserer Gesellschaft ist der Stellvertreter derjenige, der die Arbeit macht und dafür belächelt wird, während der Chef die Lorbeeren einkassiert. Stellvertretender Grundschulleiter – wer nähme ihn ernst? Welcher Privatpatient ließe sich vom Stellvertreter des Chefarztes behandeln? Kennt jemand den Stellvertreter des UN-Generalsekretärs?

Da ist die Katholische Kirche ein leuchtendes Gegenbeispiel. Der Stellvertreter wird gefeiert, der Stellvertreter wird verehrt, dem Stellvertreter liegen sie zu Füßen. Gott kennt niemand.

RAYK WIELAND