piwik no script img

Die olympische Evolution

Jacques Rogge, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), will das Programm der Sommerspiele modifizieren, doch die 28 Olympiasportverbände möchten am Status quo festhalten

AUS BERLIN MARKUS VÖLKER

Auf dem Olymp wurden schon die ausgefallensten Sportarten aufgeführt. Im Jahre 1900 zog man in Paris am Seil. Zudem wurde in der Frühzeit der Spiele Cricket und Crocket gespielt, aber auch Roque und Rackets. Derzeit gibt es 28 ständige Vertretungen auf dem Olymp des Sommersports. Dabei soll es bleiben, sagt Jacques Rogge, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Stillstand will das IOC aber auch vermeiden. Ein Kommen und Gehen ist durchaus erwünscht. „Was wir brauchen, ist keine Revolution, sondern ein langsame Evolution“, sagt der 62-jährige Belgier. Er hat erkannt, dass die Lobby der Verbände zu stark ist, als dass sich schnelle Änderungen durchsetzen ließen. Die Verbandsmächtigen sind derzeit von B wie Basketball bis V wie Volleyball in Berlin versammelt und arbeiten daran, dass der Status quo des Olympiaprogramms erhalten bleibt.

Einlass in den exklusiven Kreis begehren die Sportarten Golf, Inline-Skating, Rugby, Karate und Squash. Auf Rogges Giftliste stehen Moderner Fünfkampf, Baseball und Softball. Der Moderne Fünfkampf führt ein Nischendasein, verweist aber stets auf seine Geschichte. Baseball wäre der logische Kandidat für ein Ausscheiden, da nicht die weltbesten Athleten, jene aus der US-Profiliga Major League Baseball, bei Olympia antreten. Doch schon einmal, vor drei Jahren, ist Rogge damit gescheitert, seine Favoriten ins Programm zu hieven. Bei der außerordentlichen Vollversammlung des IOC in Mexiko-Stadt im Jahre 2002 konnte Rogge sich nicht gegen die geschlossene Phalanx der Verbände durchsetzen. Als Kompromiss wurde beschlossen, die Sportarten nach jeden Spielen „objektiv und fair“ zu bewerten. Das ist nach den Spielen von Athen geschehen. Der Bericht liegt dem IOC und wurde jetzt in Berlin von der Exekutive diskutiert. Achtzig Prozent der Analysen lieferten die Verbände selbst, zwanzig steuerten externe Experten bei. „Das ist ein objektives Instrument der Bewertung“, glaubt Denis Oswald, Chef der olympischen Sommersportverbände.

Bei der 117. Vollversammlung des IOC Anfang Juli in Singapur werden 115 stimmberechtigte IOC-Mitglieder über die Ergebnisse des Berichts beraten. Doch wie die Zeichen derzeit stehen, wird es wohl zu keiner Ausbürgerung und folglich auch zu keiner Neuaufnahme in den Olymp kommen. Die Neuerung würde ohnehin erst ab 2012 zum Tragen kommen. In Peking, Olympiaausrichter 2008, bleibt noch alles beim Alten. Nichtsdestotrotz sagt Denis Oswald: „Wir sind eine flexible Gemeinschaft, nichts ist in Stein gemeißelt.“ Voraussichtlich wird in Singapur über jede einzelne in Frage kommende Sportart abgestimmt. Es reicht die einfache Mehrheit. Erhält eine Sportart weniger als fünfzig Prozent der Stimmen, kommt es zu einem weiteren Wahlgang.

Immer mehr Sportarten sind es seit den Sommerspielen in Berlin 1936 geworden, als mit Polo zum letzten Mal eine komplette Sportart gestrichen wurde. Platz wurde nur geschaffen durch das Streichen oder Zusammenlegen von Unterarten, den Disziplinen. Das Hauptprogramm der Olympischen Spiele franste trotzdem aus. Der Türsteher winkte gern mal durch, weil er niemanden verprellen wollte. Bei den Abgesandten des Taekwondo und des Triathlon drückte er letztmalig ein Auge zu, das war im Jahr 2000. Mehr als 10.500 Athleten und 300 Wettbewerbe, sagt das IOC, dürfe es bei den Spielen nicht geben, diese Werte markierten das Limit des Sinnvollen und Praktikablen. In Athen ist zuletzt keine neue Art hinzugekommen. Immerhin.

Rogge hat mehr denn je ein Auge darauf, dass die feine Gesellschaft einigermaßen klein bleibt. Deshalb stehen neben den gefährdeten Sportarten auch die Disziplinen Kanuslalom, Military, Gehen und das gemischte Badminton-Doppel unter Beobachtung. Nur die Kernsportarten Leichtathletik und Schwimmen können sich ihrer Position sicher sein. In Peking rückt Rogge bereits den Schützen zu Leibe. Ihnen wurden zwei Bewerbe gestrichen. Auch die Ringer kommen dran. Eine noch nicht benannte Zahl von Entscheidungen fällt weg. Im von Denis Oswald geführten Lobbygrüppchen geht also die Angst um. „Wir haben starke Verbände, und starke Verbände haben nichts zu fürchten“, beschwichtigt Jacques Rogge. Von seinem Vorhaben, das Programm zu modifizieren, wird ihn das Muskelspiel der Verbände aber nicht abhalten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen