Reicht der Rauch?

Warten auf den neuen Papst: Die ganze Welt starrt gebannt auf einen Schornstein. Sollte sich die katholische Kirche nicht besser ein medienfreundlicheres Spektakel zur Papstwahl ausdenken?

PRO

Die schwelende Regierungskrise in Italien führt keinen einzigen Reisebus nach Rom, die Rauchzeichen aus dem Vatikan hingegen halten die ganze Welt in Atem: Am Montagabend glühten die Satelliten im Weltall, als weißer, nein, doch schwarzer Rauch der Sixtinischen Kapelle entwich: ARD, ZDF, CNN, BBC waren live on air und die Menschheit blickte gebannt auf einen beschissenen kleinen Schornstein. Schwarz oder weiß, ja oder nein, Himmel oder Hölle: Gestern Mittag das gleiche Spiel, und kein Mensch weiß, was sich hinter den verschlossenen Türen abspielt. Ein umgestülptes Big-Brother-Format, bei dem 115 Kardinäle im Container sitzen und die Zuschauer nur ihre Abluft zu sehen bekommen. Die Kardinäle dürfen nicht mal eine SMS nach draußen schicken: Habemus Papam, :-).

Das ist wie warten auf das Christkind, das ist Verdichtung, das ist ein Freudenfeuer der Unterkomplexität – die Menschen mögen das viel lieber als ein wochenlanges Konzil mit öffentlicher Debatte, stundenlangen Reden und eifrigem Disput. Außerdem hat der Vatikan die Papstwahl durchaus modernisiert. Der gusseiserne Ofen, in dem der weiße bzw. schwarze Rauch erzeugt wird, stammt nicht aus dem Mittelalter, sondern aus dem Jahr 1939. In diesem Jahr gibt es erstmals zusätzlich eine elektrisch betriebene Maschine, die je nach Wahlausgang verschiedene künstliche Rauchentwickler beimischt. Damit der Rauch besser abzieht, wird das Rohr zum Schornstein elektrisch aufgewärmt, für den Notfall steht sogar ein Ventilator bereit.

Der Mysteriennebel aus der Sixtinischen Kapelle ist nun für das bloße Auge und die der unzähligen Kameras besser sichtbar, mehr braucht es nicht. Die Papstwahl ist nämlich ein Manufactum-Ritual: Ja, die guten alten Dinge gibt es noch. Die katholische Kirche weiß um ihre Kernkompetenzen, also Kompetenzen, mit denen neue Märkte erschlossen werden können: verlässliche Rituale und strenge Ansagen, die Orientierung verheißen. Glaubt man dem italienischen Kardinal Salvatore Pappalardo, gibt es drinnen sowieso nichts zu sehen: „Die Vorsehung sendet einen Papst für jede Ära.“ Rauch und Glocken reichen zur Illustration dieses Vorgangs völlig aus. MARTIN REICHERT

CONTRA

Wenn es nach liberalen Modernisierern geht, dann soll ja nun doch bitte bald mal der frische Wind der Modernisierung durch den Vatikan wehen. Keine Kardinäle mehr, nein, McKinsey müsste sich um die Kirche kümmern. Oder andere Fachleute, die das enorme Potenzial der Marke nicht nur erkennen, sondern auch effektiv in Szene zu setzen wissen.

Nichts gegen Rauchzeichen, Gott bewahre! Aber mit mystischem Mummenschanz lassen sich allenfalls noch im Seniorenstift von Lüdenscheid oder den Slums von Lima heilige Schauer erzeugen. Dem aufgeklärten Menschen von 2005 entlockt das nostalgische Qualmen von Rom nur Schulterzucken, höchstens ein trockenes Husten. Dabei wären die medialen Möglichkeiten der katholischen Kirche unbegrenzt, würde sie sich ihrer Modernisierung nicht so renitent entgegenstemmen.

Wäre es denn zu viel verlangt vom Klerus, nicht nur weißen („Habemus papam!“) oder schwarzen („Nix habemus papam!“), sondern zur Abwechslung auch mal grünen („Bitte lüften, uns ist schlecht!“) oder roten Rauch („Wir sind sauer und suchen noch!“) aufsteigen zu lassen? Und was spricht dagegen, die Entscheidungsfindung wenigstens nachts mit einem anmutigen Scheinwerferspektakel aufzupeppen?

Jede Dorfdisko ist der Kirche hier um Längen voraus. Die Wahl des Papstes muss ja nicht gleich basisdemokratisch entschieden werden, per TED oder SMS. Aber gerade bei minderbemittelten männlichen Jugendlichen könnte schon viel früher das Interesse am Geklüngel der Greise geweckt werden, etwa im Kino: „Opus Dei – Im Geheimdienst Seiner Heiligkeit“. Hier ist Hollywood gefordert.

Denkbar auch: ein Computerspiel nach dem Vorbild von „Bundesliga Manager“, das katholische Karrieren nachvollziehbar macht – vom kleinen Priester aus einer Landkapelle bis auf den Heiligen Stuhl in zwölf Spielstufen.

Auch wäre mal über eine Verlagerung des Vatikan nach Las Vegas nachzudenken, wo man sich auf optische Thrills bestens versteht, kurzum: Frischer Wind ist schön und gut – endgültiger ließe sich der Weihrauch nicht vertreiben, die Kirche nicht zugrunde richten. ADAM LUX