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Tell me lies

DAS SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER

Waren wir gestern noch Experten für al-Qaida und den Islam, faseln wir heute fröhlich über cum clave

Der Papst und die Arbeitslosen sind mir scheißegal. Ob in Rom einer gewählt wird, der den Frauen erlaubt, dass sie die Pille nehmen oder die Messe zelebrieren, lässt mich völlig kalt. Die Pille fand ich schon schädlich, als ich noch verhüten musste, und eine Messe wollte ich sowieso nie abhalten.

Solange der Papst seine Gläubigen nicht dazu aufruft, über mich zu bestimmen, kann er machen, was er will. Er kann eine Bulle nach der anderen verschicken und jede Woche ein Konzil veranstalten. Es betrifft mich nicht.

Es betrifft mich allerdings, dass ich seit Wochen von Presse, Funk und Fernsehen mit Bildern, Informationen und Kommentaren überschüttet werde, die von Papstnamensfindungsproblemen bis zu irgendwelchen mittelalterlichen Qualmriten oder ekstatischen Erklärungen über Farbe und Beschaffenheit von weichen Scheitelkäppchen für Kardinäle und Bischöfe eben das zum Thema machen, was mich nichts angeht. Und da nützt es mir auch nichts, dass ich brav die taz lese, weil die genau so Lemminge-like wie alle anderen jedem Provinzbischof hinterherhechelt, der schon mal einen zitierfähigen Satz hingekriegt hat.

Manche Journalisten platzen nahezu vor Stolz, wenn es ihnen gar gelungen ist, einem tatterigen Weihbischof oder mürben Kardinal das Mikro unter diese Nase zu halten. Ja, mittlerweile glaubt selbst der Nachttopfleerer vom Papst, etwas zu sagen zu haben. Waren wir vorgestern noch Experten für Scud-Raketen und Awaks, wussten wir gestern alles über al-Qaida und den Islam, faseln wir heute fröhlich und unbedarft über cum clave oder Konklave – und morgen haben wir schon wieder vergessen, ob es der, die oder das davor heißt.

Was die Arbeitslosen angeht, nervt mich zunehmend, dass Politiker wie Medien die ganze Zeit so tun, als ob es genug Arbeit für alle gäbe. Vor 15 Jahren haben mir kluge Freunde beigebracht, dass es zukünftig keine Vollbeschäftigung mehr gebe. Ich ging davon aus, dass das auch den Menschen bekannt ist, die sich von Berufs wegen damit beschäftigen. Zum Beispiel Politiker und Journalisten. Diese Annahme war offensichtlich falsch. Meine Kollegen, vor allem die, die beim Fernsehen arbeiten, tun nicht nur so, als seien sie unheimlich betroffen, sondern reden mit Politikern, die auch so tun, als seien sie unheimlich betroffen und kämpften für eine bessere Zukunft, in der der Langzeitarbeitslose wieder erhobenen Hauptes einer sinnvollen Tätigkeit nachgehe. Es scheint beinahe so, als müssten einige Menschen mindestens zweimal in der Woche öffentlich darüber sprechen, damit eine Art von Glaubensvakuum in ihnen gefüllt wird.

Vielleicht ist es so ähnlich wie mit der Frage nach der jungfräulichen Geburt – niemand glaubt wirklich, dass es möglich ist, noch nicht mal irgendein Papst, wie konservativ oder liberal er auch sein mag. Doch es ist ab und zu wichtig, sich über so etwas zu streiten, damit man mal wieder weiß, wo man steht. Sich zu positionieren ist derzeit eben total angesagt. Ob man das gestern hier und morgen dort tut, wird im Zweifelsfalle als Flexibilität goutiert. Die Allzeitbereitschaft zur Veränderung ist das Credo des Westens, ganz gleich ob diese Veränderung sinnvoll ist oder nicht.

Nun kann es einem egal sein, womit Menschen ihre Zeit verbringen. Ob sie über Ufos, die Landtagswahlen in NRW, Zwangsheiraten, die heilige Maria oder über Arbeitslose sprechen. Ob sie ständig neue Sendeformate erfinden, in denen es zwar immer wieder um das gleiche Nichts geht, die aber auf jeden Fall eine Pressemeldung zur Folge haben. Ob sie Love Parade, Papstbeerdigung, Arbeiterdemo oder Schiitenprozession ventilieren – alles ist gleich wichtig vor dem Herrn und soll auch erlaubt sein. Wir sollen nur nicht so tun, als ob es uns um etwas ginge. Das rituelle Reden über die Arbeitslosigkeit geht mittlerweile nicht nur den Arbeitslosen am Arsch vorbei.

Wenn Thomas Roth von der ARD in seinem maßgeschneiderten Anzug und im medienkompatiblen Entrüstetenton über das Elend der Welt und die Arbeitslosigkeit schwafelt, nimmt man ihm einfach nichts ab, außer dass er gerne in den Spiegel guckt und weiß, was lecker, gut und teuer ist.

Wenn wir unsere Arbeit und nicht nur uns selbst wichtig nähmen, müssten wir das Land von morgens bis abends mit Informationen über Menschen bombardieren, die klasse Ideen haben. Wir müssten diese Ideen recherchieren, die praktische Durchführung überprüfen und die Leute dabei begleiten und anfeuern. Stattdessen werden die Arbeitslosen in Parks und auf der Straße als Denunzianten fürs Ordnungsamt zu IOHüs (Informelle Ordnungshüter) degradiert und wir gefallen uns im hämischen Rote-Karte-Zeigen für Politiker. Macht bestimmt auch ’ne Zeit lang Spaß, reicht aber auf Dauer nicht aus, weil unser Berufsstand genauso fragwürdig ist.

Das Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten gleicht dem von Rind und Kuhreiher. Kein Wunder, dass sich niemand mehr für Politik interessiert. Nur: Wofür interessiert sich der Mensch? Für das Wetter zum Beispiel. Gerade jetzt, wo wir vorwitzigerweise noch vor den Eisheiligen dunkelrote englische Geranien für den Balkon kauften. Bang fragen wir uns abends: Wird der Nachtfrost etwa bis in den dritten Stock reichen? Sollen wir die Pflanzen mit Kaschmirschals zudecken oder doch lieber reinholen?

Thomas Roth nimmt man einfach nichts ab, außer, dass er gerne in den Spiegel guckt

Können die Spatzen bei der Kälte brüten, und wer wird den Streit um den anderen Nistkasten gewinnen: das kesse Grünfinkenpaar oder die schüchternen Blaumeisen? Wird es bald wieder wärmer werden und die Sonne unsere Stimmung anheizen? Kann ich diesen Sommer noch mal ohne Ärmel gehen oder hängt das Fleisch zu lasch? Das sind die Fragen, die uns derzeit wirklich bewegen. Ja, natürlich haben wir Sehnsüchte und Träume nach ewigem Sommer, Sonne, Palmen und Meer – aber wir sind nicht uneinsichtig. Wir wissen, dass es auch Donner, Blitz, Schnee und Regenschauer geben muss.

Meine Freundin Ingke sagt, wenn Politikjournalisten von Sven Plöger lernten, wäre alles viel einfacher. Sven Plöger sagt beim Ersten nicht nur, wie das Wetter war und wird – nein, er bläst die Backen auf, wenn er von Luftströmen redet, er zittert, wenn die Minusgrade drohen, und strahlt am ganzen Körper, wenn übermorgen die 20-Grad-Marke erreicht werden soll. Seine Leidenschaft und sein Engagement, seine Kompetenz und sein didaktisches Talent lassen uns schon einen Tag vorher die gefühlte Temperatur überprüfen, ach, wenn taz- und FAZ-Journalisten doch nur ein Quäntchen davon ihre Leser davon spüren ließen.

Anstatt uns ihre ölige Unbeeindrucktheit zu demonstrieren, wünschen wir uns mal einen schmachtenden Blick an die Adresse von Müntefering oder einen leichten Knuff für Merkel und erst recht eine begeisterte Anfeuerung an Bärbel Höhn, so wie: „Wie Sie das heute im Landtag rübergebracht haben, war einmalig, ich hab sofort zu meiner Frau gesagt: Uschi, kauf drei Solaranlagen auf einmal!“

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