Damit Europa etwas weniger wehtut

Die EU-Dienstleistungsrichtlinie ist im Parlament angekommen. Dort sollen ihre umstrittensten Punkte verändert werden. Einen ganz neuen Entwurf durch die Kommission wird es aber nicht geben. Dabei hatten Deutschland und Frankreich darauf gedrängt

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Für die umstrittene Dienstleistungsrichtlinie hat gestern das parlamentarische Verfahren begonnen. Im Binnenmarktausschuss debattierten Abgeordnete aller Fraktionen die Änderungsvorschläge der sozialistischen Abgeordneten Evelyne Gebhardt. Die Berichterstatterin will das Herkunftslandsprinzip aus dem Kommissionsentwurf streichen. Es besagt, dass für Unternehmer nicht die Standards des Landes gelten sollen, wo sie die Leistung erbringen, sondern die Regeln im Land ihres Firmensitzes. Dieses Prinzip gehört zu den am schärfsten kritisierten Elementen des von der EU-Kommission vorgelegten Entwurfs.

Gebhardt will das Herkunftslandsprinzip für die meisten Dienstleistungen durch das Zielland-Prinzip ersetzen. Dessen Mindeststandards in der Sozialgesetzgebung, beim Umweltschutz und im Arbeitsrecht sollen für den Anbieter gelten. Für eine gesondert aufgelistete Gruppe von Dienstleistungen sollen die Mitgliedsländer sich auf die gegenseitige Anerkennung von Standards verständigen. Für alle Dienstleistungsbereiche, die schon in eigenen Richtlinien gemeinschaftlich geregelt sind, soll die neue Richtlinie nicht gelten.

Sozialisten und Grüne hätten es lieber gesehen, wenn die EU-Kommission einen völlig neuen Entwurf vorgelegt hätte. Der zuständige Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy hatte das trotz heftigen Drängens einiger Regierungen abgelehnt.

Gebhardt sagte, die der Richtlinie zugrunde liegende Idee sei richtig. „Es gibt viel zu viele protektionistische Regeln in Europa.“ Das Konzept, in jedem Mitgliedsland eine Anlaufstelle für grenzüberschreitende Dienstleistungen zu schaffen, werde den Markt leichter zugänglich machen. Dort müssten Informationen über die Standards im Gastland verfügbar sein.

Auf Nachfrage bestätigte Gebhardt, auch Tarifabschlüsse sollten zu diesen Mindeststandards gehören. Lohndumping dürfe es nicht geben. Allerdings sehe sie ihre Aufgabe nicht darin, mit den Änderungsanträgen die Sonderprobleme jedes Mitgliedslandes zu lösen. „Die Italiener sagen mir, sie brauchen die Dienstleistungsrichtlinie, um Berlusconis unsoziale Gesetze auszuhebeln. Die Deutschen wollen Sonderregeln, weil es bei ihnen keine Mindestlöhne gibt. Wenn es in einem Mitgliedsland Probleme gibt, müssen sie dort gelöst werden.“

Die Grünen äußerten sich positiv zu Gebhardts Vorschlägen. Die grüne Europaabgeordnete Heide Rühle sieht aber Probleme bei der von Gebhardt vorgeschlagenen Zweigleisigkeit von Ziellandprinzip und gegenseitiger Anerkennung.

Diese Kritik teilt der konservative EU-Parlamentarier Joachim Würmeling. Er warf Gebhardt vor, das System durch unterschiedliche Harmonisierungsanforderungen unüberschaubar zu machen.

Der liberale Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff betonte, seine Fraktion halte am Herkunftsland-Prinzip fest. Die von Gebhardt angestrebte Harmonisierung sei „ein Rezept aus der Mottenkiste“, an dem auch schon die Liberalisierung des freien Warenverkehrs gescheitert sei.

Sicher ist, dass sich die Diskussion noch Monate hinziehen wird. Erst Ende Mai will Gebhardt ihren endgültigen Vorschlag vorlegen. Mit der ersten Lesung im Rat ist nicht vor Frühjahr 2006 zu rechnen.