Die Angst, bis zum Ende

ROMANTISCHE OPER Der katalanische Regisseur Calixto Bieito inszeniert den „Freischütz“ von Carl Maria von Weber an der Komischen Oper als düstere Geschichte in einer mordlustigen Männergesellschaft

Max und Ernst singen von ihrer Zukunftsangst, von ihrer Verlorenheit

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Die Sache mit dem Bild zum Beispiel, die sieht hier so anders aus. Das Bild von Agathes Vater ist von der Wand gefallen, ein böses Vorzeichen, eines unter vielen in der Oper „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber und seinem Librettisten Friedrich Kind. Die alten Regieanweisungen sehen vor, dass Agathe, die ängstliche Braut, und Ännchen, ihre Freundin, das Vaterbild wieder an seinen Ort bringen, während die eine mit munteren Scherzliedern die Melancholie der anderen vertreibt. Nicht im Forsthaus spielt die Szene in der Inszenierung von Calixto Bieito an der Komischen Oper, sondern im Wald. Und Agathe attackiert das Vaterbild, das Ännchen ins Gebüsch geschleppt hat, und ihre wütenden Bewegungen passen durchaus zu ihren schmerzhaften Zeilen. Singt sie doch von ihrer Angst, dass ihr Max, ihr Geliebter, sie vielleicht doch nicht heiraten darf, weil eine alte Regel von ihm zuerst ein schießtechnisches Kunststück verlangt. Und es ist eben die Ordnung der Väter, die solche Regeln aufgestellt hat.

Es sind solche Verschiebungen und Umdeutungen, mit denen der katalanische Regisseur Calixto Bieito sich in seiner fünften Inszenierung an der Komischen Oper den „Freischütz“ zu eigen macht und in eine düstere Geschichte von einer mordlustigen Männergesellschaft verwandelt. Die Jäger, das sind hier keine aufgeputzten Burschen, sondern eher im Wald hausende Waffenfetischisten, die nur die Hierarchie der Starken anerkennen. Die Jungfern, die Agathe ihren Kranz bringen, erinnern in ihrer aufgesetzten Fröhlichkeit, mit rosa Schweinsöhrchen, Tüllröckchen und Pelzmänteln grotesk herausgeputzt, an die aggressive Feierlaune eines Junggesellinnen-Abschieds. Und das geht erstaunlich gut zusammen mit ihrem Lied „Wir winden dir den Jungfernkranz“, dessen leicht nerviges Leiern und betonte Herzigkeit schon zu Uraufführungszeiten 1821 manchem Kritiker als völlig überzuckert aufstieß.

Dem biedermeierlich Restaurativen hat die Oper „Der Freischütz“ von jeher einen großen Raum geöffnet mit ihrer Geschichte von Wettschießen und Heiratsordnungen, die sich über die Jagd definieren. Ihre Attraktivität dagegen beruhte auf dem Unheimlichen, dem Pakt mit dem Bösen, einem halben Akt in der Wolfsschlucht, vom Chor mit schauerlichen „Ui Ui“ eingeleitet. Kaspar und Max gießen dort die Freikugeln, die dem Schützen das Treffen sichern sollen, auch wenn er dafür seine Seele verkauft. Dass später die Tugend obsiegt, geschenkt. In Bieitos Lesart wird daraus ein düsteres Ritual der Initiation, das schiefgeht. Max findet innerlich nicht mehr aus dem Wald heraus: Er verwandelt sich, während Kaspar die Kugeln gießt, in ein großes Kind, nackt und schutzbedürftig, das aus Angst den wilden Mann markiert, und auf dieser Stufe, regressiv und unerwachsen, bleibt er stehen. Und irrt so erbarmungswürdig durch alle weiteren Szenen.

Alles, was sonst geisterhafte Erscheinung bleibt, setzt Bieito als reales Bild in Szene. Es sind die Menschen, die bei ihm den Menschen Gewalt antun, nicht Götter und nicht Dämonen. Das sichtbar werden zu lassen ist eine Stärke der Inszenierung. Samiel, der von Kaspar angerufene Böse, er muss hier nicht erscheinen, Kaspar macht das schon selbst, er entführt ein Brautpaar und bringt die Braut vor den Augen des Bräutigams um, ein terroristischer Akt in der Wolfsschlucht. Die Berufung auf Gott und den Teufel ist so nur Verbrämung der willkürlichen Tat.

Das Erstaunliche aber ist, dass diese pessimistische Interpretation der Oper sich nicht gegen die von Patrick Lange sehr klar dirigierte Musik richtet, nicht aufgesetzt oder effektheischend wirkt. Das Dunkle, Unheimliche, Ängstigende, es ist in der Musik immer da, nur gelingt seine Bannung durch die helleren Töne und Lieder diesmal nicht. „Der Freischütz“ beginnt ja mit einer Verspottung, Max wird von Bauern und Jägern ob eines Fehlschusses ausgelacht, sein Drama ist das eines Versagers. Bieito behält die Konstellation bei, der Chor, die Waldgesellschaft hat hier immer einen spottenden Unterton, einen gehässigen Blick auf das Strampeln von Max. Jemand stürzen zu sehen, das belustigt sie.

Der Wald, den Rebecca Ringst auf der Bühne wachsen, von einem Sturm verwüsten und schließlich fällen lässt, ist auch als Bühnenbild ein Glücksfall für die Oper, wirklich genug, ohne sentimental zu wirken. Erst Max (Vincent Wolfsteiner), dann Agathe (Ina Kringelborn) singen hier von ihrer Zukunftsangst, von ihrer Verlorenheit, so ergreifend, so empathieerzeugend, dass man von da an auch um sie bangt. Und bis zum Ende diese Angst nicht verliert.

■ Wieder in der Komischen Oper am 4. , 7. , 21. und 24. Februar